Fieldtrip Wien März 2025

Die Kraft der Zusammenarbeit: inspirierende Modelle sozial engagierter Energiegemeinschaften

Bericht des Fieldtrips der Reset Aktivist*innen nach Wien übersetzt aus dem Tschechischen

Wie können auch Menschen mit knappem Budget von der Energiewende profitieren? Diese Frage beschäftigt uns bei Reset schon lange. Um nach konkreten Antworten zu suchen, haben wir uns auf eine Reise nach Österreich begeben. Dorthin, wo gemeinschaftliche Energieprojekte nicht nur Strom liefern, sondern auch Solidarität. Unser Ziel: eine Energiegemeinschaft zu schaffen, die auch jene mitnimmt, die von Energiearmut betroffen sind. Eine Gemeinschaft, die offen ist für alle Menschen, nicht nur „grüne“ Energie-Enthusiasten, die Profit machen wollen oder finanziell abgesicherte Ingenieure mittleren Alters. Denn je vielfältiger die Beteiligten, desto gerechter, demokratischer und stabiler wird unser Energiesystem. Aber wie lassen sich der Ausbau erneuerbarer Energie und soziale Inklusion wirklich sinnvoll verbinden?

Zu unserer Recherchereise haben wir weitere engagierte Menschen eingeladen – etwa Energiepioniere der Organisation Veronica Centrum Hostětín oder Interessierte aus der Region Ústí, die sich mit dem Thema Stromteilen beschäftigen.

Wenn du mehr Energie hast, als du brauchst – gib sie weiter

Erster Halt: Robin Powerhood in St. Pölten. Deren Konzept ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Haushalte mit Photovoltaikanlagen können ihre Stromüberschüsse an Menschen spenden, die sich ihre Energiekosten kaum leisten können. Die Initiative arbeitet eng mit dem Verein Wohnen zusammen, der Menschen betreut, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Mit einem unkomplizierten Jahresvertrag können Stromspender*innen ihre überschüssige Energie abgeben, anstatt sie zu ungünstigen Bedingungen ins Netz zu verkaufen. Für die Empfänger*innen bedeutet das eine echte finanzielle Entlastung – aktuell profitieren rund 150 Haushalte davon. In Zeiten steigender Energiepreise – auch in Österreich, wo gerade eine Preisdeckelung abgeschafft wurde – ist diese Unterstützung mehr als willkommen. Laut Erhebungen können sich etwa 4 % der Haushalte keine ausreichende Beheizung ihrer Wohnung leisten. Bei Alleinerziehenden liegt dieser Anteil sogar bei 13 %. Robin Powerhood wurde für den SozialMarie-Preis (Preis für soziale Innovation)  der österreichischen Unruhe Privatstiftung nominiert – eine Auszeichnung für innovative soziale Projekte in Mittel- und Osteuropa.

Energie mit Herz und Verstand

Ein weiteres Beispiel für soziale Energienutzung ist das Schweizer Haus Hadersdorf in Wien – eine Einrichtung für suchtkranke Menschen, die oft auch mit Wohnungs- und Energieproblemen zu kämpfen haben. Hier soll künftig Strom aus erneuerbaren Quellen direkt an kurzfristig untergebrachte Personen weitergegeben werden.

Noch spannender ist das Ziel, die Betroffenen – insbesondere Frauen – aktiv in den Aufbau und Betrieb der Energiegemeinschaft einzubeziehen. Das Projekt befindet sich noch in der Anfangsphase und soll bis 2028 realisiert werden.

Auch die evangelische Kirche spielt mit: Im Rahmen des Projekts Energy with Spirit wurde eine Energiegenossenschaft gegründet. Eine große Photovoltaikanlage auf einem Internat versorgt ein nahegelegenes Pflegeheim mit Überschussstrom. Ein spezieller Tarif sorgt dafür, dass mindestens 10 % der Einnahmen gezielt an bedürftige Menschen in Bad Goisern verteilt werden.

Solche Projekte zeigen, wie soziale Verantwortung und Energiewende Hand in Hand gehen können – und wie kirchliche Gebäude und Strukturen dafür sinnvoll genutzt werden.

Das Gesetz als Möglichmacher

Die österreichische Gesetzgebung unterstützt solche Initiativen mit cleveren Lösungen: So soll etwa das Netznutzungsentgelt bald nach Distanz gestaffelt werden: Wer seine Energie in der Nähe teilt, zahlt weniger für die Verteilung. Ein logischer Schritt - je kürzer der Weg von Erzeuger*in zu Verbraucher*in, desto geringer der technische Aufwand.

Hinzu kommt, dass Österreich beim Einsatz von Smart Metern weit vorn liegt – diese intelligenten Zähler liefern in Echtzeit Daten zur Stromnutzung und helfen dabei, Netzüberlastungen zu vermeiden. Noch in diesem Jahr soll der Ausbau landesweit nahezu abgeschlossen sein.

Energie von nebenan: Das Grätzl-Prinzip

Unser letzter Besuch galt der Genossenschaft Grätzl Energie in Wien – einem der ersten Projekte dieser Art in der Stadt. Der Begriff „Grätzl“ steht für Nachbarschaft, und genau darauf baut das Modell auf: Menschen aus dem direkten Umfeld – Haushalte, Unternehmen, Schulen – schließen sich zusammen, um gemeinsam Energie zu produzieren, zu nutzen und zu teilen.

Bei Nachbarschaftsfesten und lokalen Events stellt sich die Genossenschaft vor, gewinnt neue Mitglieder und baut Vertrauen auf. Unterstützt wird das Ganze durch eine benutzerfreundliche Software, die das Teilen von Strom unkompliziert macht – ein Modell mit Vorbildcharakter für viele weitere Initiativen.

Energieberater Roland Kuras, der Kopf hinter dem Projekt, bringt nicht nur Fachwissen mit, sondern auch Geduld: „Eine Energiegemeinschaft aufzubauen ist kein Sprint, sondern ein Marathon“, sagt er. Die Vorteile seien nicht nur finanzieller Natur – es gehe auch um soziale Nähe, lokale Resilienz und ein gemeinsames Umdenken angesichts der Klimakrise, deren Folgen auch in Österreich (etwa durch Hochwasser) bereits spürbar sind.

Viele Antworten – und neue Fragen

Unsere Reise hat uns viele Anregungen und Antworten gebracht – aber auch neue Fragen. Zum Beispiel: Welche Möglichkeiten haben Menschen, die selbst von Energiearmut betroffen sind, sich in funktionierenden Gemeinschaften zu organisieren – auch ohne auf Spenden von PV-Überschüssen angewiesen zu sein? Wie kann man den Stromverbrauch so gestalten, dass die verfügbare Energie optimal genutzt wird?

Das sind Herausforderungen, denen wir uns weiter widmen werden – mit frischem Wissen, neuer Motivation und dem Gefühl, dass echte Veränderung dort beginnt, wo Menschen gemeinsam handeln.