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EU begräbt Pläne für neue Konzern-Paralleljustiz

Attac fordert weltweites Ende für diese Konzern-Privilegien

Die EU-Kommission hat ihre Pläne für eine neue Konzern-Paralleljustiz zwischen EU-Staaten fallen gelassen. Dies erklärte EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness gestern in ihrer Eröffnungsrede* des “EU-Stakeholder-Forums zum Schutz und zur Erleichterung von Investitionen im Binnenmarkt“.

Nachdem der Europäische Gerichtshof, EuGH, 2018 das alte System der Konzern-Sonderklagerechte (ISDS) zwischen EU-Staaten für unvereinbar mit EU-Recht erklärt hatte, plante die EU-Kommission noch im Sommer 2021 diese durch einen neuen Vorschlag zu ersetzen. Unter den Optionen nannte die Kommission auch die Schaffung eines speziellen EU-Investitionsgerichts für Konzerne. Diese Pläne wurden nun offiziell begraben.

Schramböck hoffte noch auf weitreichende Sonderrechte für Konzerne

Die damalige Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck hatte sich noch im Sommer 2021 für möglichst weitreichende Sonderrechte für Konzerne eingesetzt. Auch die Erste Group und die österreichische Wirtschaftskammer hatten im Konsultationsprozess auf Sonderrechte gedrängt. Besonders aktiv lobbyierten dafür zudem deutsche Großbanken, die Europäische Bankenvereinigung, die deutsche Aktionärslobby oder Konzernlobbygruppen wie BusinessEurope und die französische AFEP.

Attac Kritik: EU-Kommission hält mit Drittstaaten an Konzernprivilegien fest

Attac begrüßt die Entscheidung der EU-Kommission. „Sonderklagerechte für Konzerne bedrohen eine Politik im Interesse des Gemeinwohls und sind mit der Demokratie unvereinbar. Leider hält die Kommission jedoch in Investitionsverträgen mit Drittstaaten weiter an diesen Konzernprivilegien fest“, kritisiert Iris Frey von Attac Österreich. Konzerne können also auch Staaten dazu zwingen, sie mit enormen Summen für neue Gesetze zum Schutz von Arbeitnehmer*innen, Verbraucher*innen und der Umwelt zu entschädigen.

Attac fordert die EU-Kommission auf, sich für das Ende jeglicher Konzern-Sonderrechte einzusetzen – und zwar weltweit. Etwaige rechtsstaatliche Defizite in einem Land gelte es grundsätzlich für alle zu verbessern, anstatt rechtliche Privilegien für Konzerne zu schaffen, die den demokratischen Handlungsspielraum einschränken, fordert Attac.

Die EU hat aktuell vier Abkommen mit einem ISDS-Mechanismus ratifiziert: den Vertrag über die Energiecharta, CETA mit Kanada sowie Abkommen mit Vietnam und Singapur. Nur der ECT ist vollständig in Kraft getreten. Die ISDS-Bestimmungen in den drei anderen Verträgen werden umgesetzt, sobald sie von allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden sind.


Hintergrund:

Der EuGH urteilte im Achmea-Urteil am 6. März 2018, dass Schiedsklauseln in Investitionsabkommen innerhalb der EU nicht mit EU-Recht vereinbar sind. Nach dem Achmea-Urteil wurden mittlerweile weit mehr als 100 bilaterale Investitionsabkommen zwischen EU-Staaten gekündigt.


* Eröffnungsrede von EU-Kommissarin McGuinness auf dem Forum zum Schutz und zur Erleichterung von Investitionen im Binnenmarkt

(...) We carefully analysed a range of options to address issues in these areas, including some legislative solutions. However, the evidence we gathered does not suggest these issues are systematic or sufficiently material to warrant specific legal action at EU level. We also balanced the perspectives of all stakeholders – not only looking at investor problems. We acknowledge civil society concerns about avoiding preferential treatment for investors compared to, for example, workers or consumers. And of course we support the right of governments to regulate in the public interest. Weighing different options, we have concluded that a legislative response is not justified. EU law already protects investments in the single market and, in particular, provides for judicial remedies when something goes wrong. National courts should remain the main forum for investors if they have to seek redress against measures introduced by Member States.(...)

(...) Wir haben eine Reihe von Optionen zur Lösung der Probleme in diesen Bereichen sorgfältig analysiert, darunter auch einige legislative Lösungen. Die von uns gesammelten Belege deuten jedoch nicht darauf hin, dass diese Probleme systematisch auftreten oder von ausreichender Bedeutung sind, um spezifische rechtliche Maßnahmen auf EU-Ebene zu rechtfertigen. Wir haben auch die Perspektiven aller Beteiligten abgewogen und nicht nur die Probleme der Investoren betrachtet. Wir erkennen die Bedenken der Zivilgesellschaft an, die eine Vorzugsbehandlung von Investoren gegenüber z. B. Arbeitnehmern oder Verbrauchern vermeiden will. Und natürlich unterstützen wir das Recht der Regierungen, im öffentlichen Interesse zu regulieren. Nach Abwägung verschiedener Optionen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass eine gesetzgeberische Reaktion nicht gerechtfertigt ist. Das EU-Recht schützt bereits Investitionen im Binnenmarkt und sieht insbesondere Rechtsbehelfe vor, wenn etwas schief läuft. Die nationalen Gerichte sollten auch weiterhin die wichtigste Anlaufstelle für Investoren sein, wenn sie gegen Maßnahmen der Mitgliedstaaten vorgehen wollen.(...)