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EU: Ohne wirtschaftspolitische Kurskorrektur droht der Kollaps

Die neoliberalen Konstruktionsfehler der EU müssen beseitigt werden

Die Eurokrise demonstriert dramatisch das Versagen des wirtschaftspolitischen Kurses der europäischen Eliten. "Wir sind Zeugen eines unwürdigen nationalistischen Taktierens. Die wahren Ursachen der Krise sind nicht Sündenböcke wie "die faulen Griechen" sondern die neoliberalen Konstruktionsfehler der EU: Deregulierte Finanzmärkte, ungleiche Vermögensverteilung, niedrige Löhne sowie Steuerwettbewerb und Steuerflucht. Da die Regierungen die wahren Ursachen völlig ignorieren, werden sie Europa wirtschaftlich weiter spalten und die politische Krise verschärfen", erklärt Alexandra Strickner, Obfrau von Attac Österreich bei einer Pressekonferenz mit international renommierten Ökonomen in Wien. Attac fordert daher eine grundlegende Kurskorrektur der europäischen Wirtschaftspolitik.
 
Frangakis: Die EU wird totgespart
  
"Der Anstieg der Arbeitslosigkeit von 10 auf 17 Prozent und die dramatische Schrumpfung der griechischen Wirtschaft beweisen, dass eine noch rigorosere Sparpolitik und Privatisierungen die Krise dramatisch verschärfen. Griechenland und die EU müssen die Wirtschaft ankurbeln, und nicht wie derzeit geplant weiter totsparen", erklärt die Ökonomin und Attac-Griechenland Mitbegründerin Marica Frangakis. "Die strukturell hohen Schulden Griechenlands sind auch durch jahrzehntelange Steuerbegünstigung und Steuerflucht der Reichen und Konzerne bedingt. Doch anstatt wirksam gegen internationale Steuerflucht vorzugehen, fordern EU und IWF vorrangig mehr Sparmaßnahmen und Privatisierungen. Und obwohl Spekulation mit Staatsanleihen hauptverantwortlich für den explosionsartigen Anstieg des Zinsniveaus und des Defizits ab 2009 sind, sitzt die Politik weiterhin wie das Kaninchen vor der Schlange Finanzmarkt."
 
Stockhammer: Niedrige Löhne Mitverursacher der Krise
 
Eine zentrale Ursache der Eurokrise sind die zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Ländern. Das Lohndumping der "Exportweltmeister" wie Deutschland oder Österreich verursacht die hohen Leistungsbilanzdefizite Griechenlands und anderer Staaten. "Die Arbeitnehmer in Deutschland und Österreich leben seit Jahren unter ihren Verhältnissen. Die dadurch fehlende Inlandsnachfrage wird durch Exporte ersetzt. Das kann in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum nur auf Kosten der Nachbarn wie Griechenland gehen", sagt Engelbert Stockhammer, Ökonomieprofessor an der Kingston University und ehemaliges Vorstandsmitglied Attac Österreich. Attac fordert daher eine koordinierte europäische Lohnpolitik und kräftige Lohnsteigerungen in jenen Ländern, die in den letzten Jahren so zurückhaltend waren, um dort die Nachfrage zu stärken.
 
 Plihon: Ohne soziale Kontrolle über Banken droht globaler Kollaps
 
"Nicht Griechenland, sondern die Kettenreaktion eines drohenden Kollaps des globalen Banken- und Finanzsystems stellt die eigentliche Gefahr für die gesamte Weltwirtschaft dar. Die Spekulation ist heute größer als 2008. Es ist nicht nur notwendig die Finanzmärkte zu regulieren, sondern die soziale Kontrolle über Banken zu gewinnen. Geld ist ein öffentliches Gut. Die notwendige Rettung und Verstaatlichung von weiteren Banken scheint nur eine Frage der Zeit. Sie bietet auch eine Chance für ein neues Bankensystem, in dem Entscheidungen demokratisch gefällt werden. Unter anderem müssen auch Arbeiter, Konsumenten oder lokale Verwaltungen einbezogen werden. Darüber hinaus müssen Banken zerteilt werden und das Investemt- vom Geschäftsbankenbereich getrennt werden. Banken sind heute zu groß und zu mächtig und behindern jede nötige Reform. Sie sind eine Gefahr für die Demokratie", sagt Dominique Plihon, Ökonom an der Universite Paris Nord und Präsident des wissenschaftlichen Beirats von Attac Frankreich.

Unmittelbar seien auch ungewöhnliche Maßnahmen nötig, um Staaten außerhalb von Finanzmärkten zu finanzieren, erklärt Plihon: "Versicherungen, Fonds und Bezieher von hohen Einkommen ab 100.000 Euro sollten verpflichtet werden, Kredite an den Staat zu einem festen Zinssatz knapp über der Inflationsrate zu leihen. Dies wurde in Frankreich in den 70er Jahren bereits erfolgreich praktiziert."
 
 Strickner: EU-weit koordinierte Steuerpolitik und sozial gerechte Staatsfinanzierung nötig
 
"Die Abschaffung von Steuern auf Vermögen und der EU-weite Steuerwettbewerb nach unten sind ein wesentlicher Faktor für die chronische Unterfinanzierung der Staaten. Dem muss ein Ende gesetzt werden. Auf nationaler Ebene müssen Vermögen und Kapitaleinkommen höher besteuert und Arbeitseinkommen entlastet werden. Europaweit sollten Vermögens-, Vermögenszuwachs-, und Körperschaftssteuern koordiniert und eine  Finanztransaktionssteuer eingeführt werden. Damit könnten die Schulden aller Euro-Staaten auf ein ungefährliches Niveau gesenkt werden", sagt die Obfrau von Attac Österreich, Alexandra Strickner. "Da die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung eine der wesentlichen Gründe für Spekulationsblasen und instabile Finanzmärkte ist, ist eine gerechte Verteilung eine Frage der politischen und ökonomischen Vernunft. Die größten und extrem konzentrierten Privatvermögen Europas sind größer als vor der Krise und betragen ein Fünffaches der Staatsschulden. Werden sie nicht an einer Krisenlösung beteiligt, ist es wahrscheinlich, dass sie in Folge von Staatsbankrotten und den dadurch ausgelösten Kettenreaktionen viel größere Teile verlieren."