Am 22. November 2022 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Jahrzehnt des Fortschritts im Kampf gegen finanzielle Geheimhaltung zerstört - sehr zur Freude von sanktionierten Oligarchen und Steuerbetrügern in aller Welt.
In einer absurden Entscheidung, die sich angeblich auf die Menschenrechte stützt, erklärte das Gericht den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer von Unternehmen für rechtswidrig. Die Folge: Führende europäische Steuersümpfe - von Irland bis zu den Niederlanden und auch Österreich - haben unmittelbar danach den öffentlichen Zugang zu ihren Registern gesperrt.
Kein Sieg für Menschenrechte
Das Gericht kam zur Auffassung, dass die öffentliche Bekanntgabe der wahren Eigentümer von Unternehmen einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte auf Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten darstellt, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind. Diese Formulierung lässt vermuten, dass es sich bei der Entscheidung um einen großen Sieg für die Menschenrechte handelt, der von Organisationen der Zivilgesellschaft und der breiten Öffentlichkeit gefeiert werden würde.
Der EuGH könnte nicht mehr irren.
Die einzigen, die diese Entscheidung feiern - abgesehen von den nunmehr anonymen Oligarchen, Steuerhinterziehern und Kriminellen - scheinen Anwälte, Treuhänder und andere Experten zu sein, die sich selbst als "Spezialisten für internationale Steuerplanung", "Rechtsberater für vermögende Privatpersonen" oder "Experten für Privatvermögen und Steuern" bezeichnen. Mit anderen Worten jene, die sowohl den Reichen als auch den Kriminellen und Oligarchen helfen Gesetze zu umgehen, die für alle anderen gelten.
Um den EuGH davon zu überzeugen, den öffentlichen Zugang für EU-rechtswidrig zu erklären, beriefen sich die Anwälte auf eine anonyme Person, die sich aufgrund des öffentlichen Registers dem Risiko ausgesetzt wähnte, auf einer Reise entführt zu werden. Ein rein theoretisches Risiko ohne jeden Beweis hat es somit geschafft, ein wirksames Transparenzinstrument zu zerstören.
Transparenz: ein Ziel, das viele vereint
Transparenz über wirtschaftliches Eigentum ist ein Anliegen, das eine Vielzahl von Akteuren vereint, die einander oft widersprechen: Organisationen der Zivilgesellschaft, Finanzinstitute, Journalisten, Steuerbehörden, internationale Organisationen, Strafverfolgungsbehörden und Privatunternehmen, die sich mit der Einhaltung von Vorschriften beschäftigen. Transparenz findet deshalb so breite Unterstützung, weil damit illegale Finanzströme aller Art bekämpft werden können: Geldwäsche, Korruption, Interessenkonflikte, Steuerhinterziehung, Betrug, Marktmanipulation, Terrorismusfinanzierung und so weiter. Der Staat sollte dagegen vorgehen, weil all das die Demokratie und Einnahmen für öffentliche Leistungen untergräbt.
Indem das Urteil den Mantel der Anonymität über Unternehmen breitet, untergräbt es die Transparenz und die Rechenschaftspflicht und verstößt gegen die soziale Gerechtigkeit, die den Kern der Menschenrechte darstellt. Das Urteil verstößt auch gegen einen anderen Grundsatz der Menschenrechte, nämlich dass Politik nicht zu "Rückschritten beim Schutz der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Rechte" führen darf.
Panama Papers nicht verstanden
Es scheint, dass der EuGH Leaks wie die Panama Papers nicht verstanden hat. Die Behörden hatten schon vor den Panama Papers Zugang zu den entsprechenden Informationen. Aber erst danach wurde deutlich, wie wichtig der Zugang der Öffentlichkeit ist - sowohl um untätige Behörden zur Rechenschaft zu ziehen, als auch um die Öffentlichkeit dazu zu bringen, die mit wenig Mitteln ausgestatteten Behörden bei der Aufdeckung von Finanzverbrechen zu unterstützen. Der öffentliche Zugang zu den Registern ist dabei so nützlich, dass selbst die Behörden ihn den zeitaufwändigen amtlichen Verfahren zur Anforderung von Informationen vorziehen.
Der EuGH scheint auf ein fadenscheiniges und engstirniges "Menschenrechts"-Argument hereingefallen zu sein, das den viel umfassenderen und schwerwiegenderen Schaden für die Menschenrechte, den dieses Urteil anrichten wird, völlig außer Acht lässt.
Dieses naive Urteil droht jahrelange Arbeit der EU zu zerstören. Menschenrechtsargumente wurden verzerrt, um Intransparenz zum Nutzen einiger weniger und auf Kosten der Allgemeinheit zu rechtfertigen. Eine unmittelbare Reaktion der politischen Entscheidungsträger in der EU ist dringend erforderlich.
Andres Knobel ist der leitende Forscher zum Thema wirtschaftliches Eigentum beim Tax Justice Network.