Die OECD hat gestern ihre - mit Spannung erwarteten - Pläne zur Reform der internationalen Konzern-Steuerregeln vorgestellt (1). Für Attac und das VIDC sind sie eine vergebene Chance. Obwohl die OECD eingestanden hat, dass das aktuelle System gescheitert ist, ist sie nicht bereit, Konzerngewinne endlich weltweit gerecht aufzuteilen. Stattdessen verkompliziert die OECD das internationale Steuersystem noch weiter. Denn jene Teile der Reform, die erste zaghafte Schritte in die richtige Richtung setzen, sind nur auf die digitale Wirtschaft anwendbar.
Warum versagt das internationale Steuersystem aktuell?
Das internationale Steuersystem basiert auf einer untauglichen Fiktion: Verschiedene Tochterfirmen multinationaler Konzerne werden steuerlich so behandelt als wären sie voneinander unabhängig agierende Unternehmen, die miteinander handeln (Fremdvergleichsgrundsatz). Dies ermöglicht es Konzernen, ihre Gewinne mittels verschiedener Techniken (wie Lizenz- und Zinszahlungen oder konzerninternen Verrechnungspreisen) auf Niederlassungen in Steuersümpfen zu verschieben. Dort wo die reale Wertschöpfung passiert, werden durch diese Praktiken kaum Gewinne ausgewiesen – und somit fast keine Steuern bezahlt. Staaten haben zudem nur dann das Recht, ein Unternehmen zu besteuern, wenn dieses physisch via „Betriebstätte“ im Land vertreten ist – ein grundlegendes Problem, das bei Internetriesen wie Google, Amazon oder Facebook am offensichtlichsten ist.
Die Lösung: Gesamtkonzernsteuer
Anstatt das aktuelle System zu verkomplizieren, sollte man die Probleme nach Ansicht von VIDC und Attac an der Wurzel packen. Die Lösung gegen Steuertricks von Konzernen wäre eine Gesamtkonzernsteuer, die mit einem ambitionierten Mindeststeuersatz gekoppelt ist. Dabei würden Konzerne steuerlich als das behandelt, was sie sind – eine Einheit mit einem global erzielten Gewinn. Dieser sollte auf Basis der im jeweiligen Land erzielten Wertschöpfung aufgeteilt und dann entsprechend besteuert werden. Dadurch hätte das Tricksen der Konzerne ein Ende. Denn ein Konzern kann zwar leicht seinen steuerlichen Gewinn verschieben, nicht aber seine Kund*innen und Nutzer*innen, seine Angestellten oder seine Produktion.
Löst die OECD die Probleme?
Nein. Die OECD greift das Konzept der Gesamtkonzernsteuer erstmals im Ansatz auf – jedoch in einer völlig ungenügenden Art und Weise. Statt einer grundlegenden Reform schlägt sie eine komplexe Zweiteilung des Systems vor: Staaten, in denen digitale Firmen genügend Erlöse (Definition noch unklar) erwirtschaften, könnten einen Teil der daraus erzielten Gewinne besteuern – egal, ob die Unternehmen dort physisch präsent sind oder nicht. Der restliche Gewinn sowie der Gewinn aller anderen Unternehmen soll weiterhin nach dem missbrauchsanfälligen Fremdvergleichsgrundsatz berechnet werden. „Letztendlich wird so nur kleiner Teil der in Steuersümpfe verschobenen Gewinne besteuert und den Steuertricks von Konzernen kein effektiver Riegel vorgeschoben“, kritisiert Kai J. Lingnau von Attac.
Entwicklungsländer verlieren doppelt
Auch Martina Neuwirth vom VIDC ist enttäuscht: „Die neuen Steuerregeln werden immer komplizierter und das alte System parallel beibehalten. Zudem soll die Aufteilung der digitalen Gewinne nur anhand des Faktors Konsum geschehen. Die Produktionsseite (also Beschäftigte und das eingesetzte Kapital) wird nirgends berücksichtigt. Den Entwicklungsländern fehlen aber die großen Verbrauchermärkte, um von den Plänen profitieren zu können. Die geforderte einfache und faire Aufteilung von Besteuerungsrechten im ihrem Sinne wird so nicht erreicht. Außerdem haben Entwicklungsländer oftmals nicht die nötigen Daten um festzustellen, ob und welche Konzerngewinne sie überhaupt stärker besteuern könnten.“ Konzerne sollten daher verpflichtet werden, ihre länderweisen Gewinn- und Steuerdaten zu veröffentlichen. Davon würden sowohl die Steuerverwaltungen ärmerer Länder als auch die interessierte Öffentlichkeit profitieren.
Insgesamt profitieren von den Reformplänen wieder einmal vor allem die wohlhabenden OECD-Staaten. Dies belegt auch eine Studie des Tax Justice Networks (2). Für Attac und das VIDC zeigt dies erneut, dass es nötig ist, die UNO als Gremium für internationale Steuerfragen zu stärken, in dem alle Staaten gleichberechtigt mitreden können.
Noch keine Vorschläge zur Mindeststeuer
Geplant, aber gestern nicht präsentiert, ist eine zweite Reformsäule in Form einer globalen Mindeststeuer. Damit will die OECD dem internationalen Wettlauf nach unten bei den Steuersätzen begegnen.
(2) Nach einer aktuellen Studie des Tax Justice Networks würden Gewinnverschiebungen der Konzerne in Summe nur um 5 Prozent zurückgehen. Und obwohl die ärmeren Staaten schon jetzt am meisten unter den Konzern-Steuertricks leiden, dürften sie 3 Prozent ihrer Steuerbasis einbüßen, während zusätzliche Einnahmen zu 80 Prozent an die reichsten (OECD-)Staaten gehen. https://www.taxjustice.net/2019/10/07/oecd-reform-weak-on-corporate-tax-havens-harsh-on-poorer-countries/