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Neuer Bericht: Wie Konzerne die Corona-Krise nutzen könnten, um Staaten zu plündern

Attac: "Regierungen müssen diese Paralleljustiz für Konzerne ersatzlos abschaffen."

„Ich denke definitiv, dass einige Staaten am Ende Fälle gegen Investoren verlieren werden - ungeachtet der Art und Weise, ob dies als unfair erscheinen könnte" , Schiedsanwalt Alex Yanos von Alston & Bird, 29. April 2020

Ein neuer Bericht der Brüsseler NGO Corporate Europe Observatory (CEO) und des Transnational Institute (TNI) in Amsterdam zeigt, wie Konzerne durch Sonderklagerechte (ISDS) von der Corona-Pandemie profitieren könnten. Internationale Anwaltskanzleien liefern Konzernen in Webinaren und Briefings bereits konkrete Beispiele, wie sie staatliche Hilfsmaßnahmen gegen die Corona-Krise anfechten können, um ihre Profite zu verteidigen. Dabei ermöglicht es diese Paralleljustiz für Konzerne nicht nur, nationale Gerichte zu umgehen, sondern auch, Entschädigung für entgangene zukünftige Profite zu verlangen - etwas, was nach nationalen Rechtsstandards niemals möglich wäre. Dies würde die ohnehin schon immense finanzielle Belastung für viele Staaten nur noch weiter erhöhen.

„Obwohl die Kanzleien wissen, wie schrecklich die Corona-Pandemie für die Staaten und die Menschen ist, arbeiten sie an einer Welle von Klagen gegen Staaten, die die öffentlichen Kassen weiter plündern wird“, erklärt die Autorin Pia Eberhardt von CEO. Es gebe keine Rechtfertigung dafür, dass Konzerne und Vermögende größere rechtliche Privilegien genießen als jene, die jetzt schon am stärksten unter der Pandemie leiden.

Alexandra Strickner von Attac ergänzt: „Sonderklagerechte für Konzerne sind ein soziales und demokratiepolitisches Desaster, bei dem nur Profite zählen. Doch die Rettung von Menschenleben und die Bewältigung der Krise sind wichtiger als die Gewinninteressen von Investoren. Daher müssen alle Klagemöglichkeiten von Investoren gegen staatliche Hilfsmaßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie sofort ausgesetzt werden. Mittelfristig müssen die Regierungen diese Paralleljustiz für Konzerne ersatzlos abschaffen.“

Auch internationale Expert*innen, darunter der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, Olivier De Schutter, der Ökonomieprofessor Jeffrey D. Sachs oder der ehemalige UN-Experte für Auslandsschulden und Menschenrechte, Juan Pablo Bohoslavsky, fordern in einem gemeinsamen Statement ein Aussetzen dieser Paralleljustiz.

Der Bericht dokumentiert 10 Szenarien für mögliche Klagen gegen Corona-Schutzmaßnahmen anhand konkreter von Anwaltskanzleien genannten Beispiele. (Eine unautorisierte Übersetzung der Szenarien finden Sie hier)

1: Klagen gegen Maßnahmen zur Bereitstellung von sauberem Wasser zum Händewaschen
2: Klagen gegen Maßnahmen zur Stützung des Gesundheitssystems
3: Klagen gegen Schritte in Richtung erschwinglicher Medikamente, Tests und Impfstoffe
4: Klagen gegen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus
5: Klagen gegen die Deckelung von Mieten oder Energiepreisen
6: Klagen gegen Schuldenerlässe für Haushalte und Unternehmen
7: Klagen gegen Maßnahmen zur Bekämpfung von Finanzkrisen infolge von Corona
8: Klagen gegen gerechte Steuern zur Finanzierung der Corona-Maßnahmen
9: Klagen gegen soziale Unruhen infolge der Pandemie
10: Das Geschäft für Prozessfinanzierer wird boomen

„Öffentliches Interesse“ nur begrenzt anwendbar

90 Prozent der heute geltenden Investitionsabkommen beinhalten kaum Ausnahmen für Maßnahmen im öffentlichen Interesse. Zudem müssten Staaten nachweisen, dass die von ihnen ergriffenen Maßnahmen die einzige Möglichkeit waren, mit dem durch die Pandemie verursachten Schaden umzugehen, was naturgemäß schwierig ist. Zusätzlich müssten die Staaten nachweisen, dass sie nicht zur Notsituation der Pandemie beigetragen haben – etwas, das gerade Staaten mit unterfinanzierten Gesundheitssystemen vor Probleme stellen könnte, wie Anwaltskanzleien betonen.

Die Zahl der ISDS-Klagen ist in den letzten zehn Jahren in die Höhe geschnellt. Derzeit gibt es 1023  bekannt gewordene Fälle. Auf Basis der verfügbaren Daten wurden Staaten bisher zu insgesamt 102,15 Milliarden US-Dollar an Entschädigungszahlungen an Konzerne verurteilt.