Am 28. April stimmt das EU-Parlament über das - durch den Brexit nötig gewordene - Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und Großbritannien ab. Am Tag vor der Ratifizierung kritisieren 44 zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften aus der EU und Großbritannien dessen mangelnde demokratische Kontrolle. In einem offenen Brief fordern sie die EU-Abgeordneten auf, mehr Mitsprache und Kontrolle der Parlamente einzufordern und sicherzustellen.
„Demokratiedefizite sind ein grundlegendes Problem in den Handelsabkommen der EU. Das wird auch beim Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien deutlich. Sowohl bei der Ratifizierung als auch bei seiner laufenden Umsetzung sind Mitsprache und Kontrolle der Parlamente unzureichend. Das ist eine große Gefahr für die Arbeitnehmer*innenrechte und die Interessen der Bürger*innen”, kommentiert die österreichische Plattform Anders Handeln.
Nachträgliche Änderungen ohne parlamentarische Kontrolle möglich
Im Abkommen sind zahlreiche neue Entscheidungsgremien vorgesehen: Das höchste Gremium ist der sogenannte “Partnerschaftsrat”, der aus Regierungsbeamt*innen aus Großbritannien und der EU besteht. Der Rat kann dabei - ohne effektive demokratische Kontrolle - auch nachträglich Änderungen am Handelsabkommen vornehmen und auch neue Gremien für die Umsetzung des Abkommens schaffen (“lebendiges Abkommen”).
Entdemokratisierung durch regulatorische Kooperation
Mit dem “Handelssonderausschuss für Regulierungsfragen” wiederum können eingeladene Lobbyist*innen Einfluss auf geplante Regulierungen und Gesetze nehmen noch bevor die Parlamente davon erfahren. Diese sogenannte “regulatorische Kooperation” wurde bereits in vergangenen Handelsabkommen wie etwa CETA scharf kritisiert. “Es darf keine Sondergremien geben, in denen Bürokrat*innen und Lobbyist*innen unter Ausschluss der Öffentlichkeit entscheiden, welche Regulierungen für uns gelten”, kritisiert Anders Handeln.
Für Mitglieder des Europäischen und des Britischen Parlaments ist zwar eine sogenannte "parlamentarische Versammlung" (Parliamentary Assembly) vorgesehen, diese kann aber lediglich Empfehlungen aussprechen und keine Entscheidungen herbeiführen.
„Angesichts dessen, dass dieses Abkommen ständig verändert werden kann, ist eine laufende parlamentarische Kontrolle umso wichtiger. Deswegen müssen die Entscheidungsgremien auch der Kontrolle der Parlamente unterliegen. Ansonsten droht eine Entdemokratisierung auf beiden Seiten des Ärmelkanals,” warnt die Plattform Anders Handeln.
Den offenen Brief finden Sie hier.
Hintergrund
Am 24. Dezember 2020 einigten sich die EU und Großbritannien in letzter Minute auf ein Partnerschaftsabkommen. Damit wurden ein ungeordneter Brexit vermieden und die künftigen Beziehungen geregelt.
Schon während der Verhandlungen war die Einbindung des Europäischen Parlaments unzureichend, wie zahlreiche Abgeordnete monierten, darunter auch der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, Bernd Lange. Das Parlament steht erheblich unter Druck, den Deal schnellstmöglich zu ratifizieren – trotz unzureichend verankerter demokratischer Kontrolle. Die Abstimmung ist für 27. April angesetzt.
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Die Plattform Anders Handeln wurde initiiert von Attac, GLOBAL 2000, Südwind, den Gewerkschaften PRO-GE, vida und younion _ Die Daseinsgewerkschaft, der Katholischen ArbeitnehmerInnenbewegung sowie der ÖBV-Via Campesina Austria und wird von rund 50 weiteren Organisationen unterstützt.
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Rückfragen:
Theresa Kofler, Koordinatorin Anders Handeln
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