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"Streiten Sie mit uns, Herr Tobin!"

Der Ökonom James Tobin, Erfinder der Umsatzsteuer auf Devisenspekulation, hat im SPIEGEL beklagt, sein Name werde missbraucht, namentlich von der Organisation ATTAC. Für den deutschen und österreichischen Zweig von ATTAC antwortet Peter Wahl.

Attac freut sich, dass James Tobin sich in die Diskussion einmischt und die Notwendigkeit der Steuer noch einmal begründet. Auch anderen Positionen Tobins kann Attac problemlos zustimmen. Wir haben uns die Tobin-Steuer vor allem wegen ihrer Lenkungswirkung auf die Fahnen geschrieben und nicht wegen "der Einnahmen aus der Steuer, mit denen Projekte zur Weltverbesserung" finanziert werden sollen, wie Tobin sagt.

Wenn als "Nebenwirkung" Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe anfallen, dann will auch Attac, ganz im Sinne Tobins, dass dieses Geld den Armen zugute kommt. Hauptzweck der Steuer bleibt es aber, Sand ins Getriebe der Spekulation zu werfen und damit dem "Diktat der Finanzmärkte", wie Tobin es formuliert, etwas entgegenzusetzen. Die Tobin-Steuer kann hierzu sicherlich nur ein erster Baustein sein und weitere Schritte gehören dazu. Etwa die Schließung von Steueroasen, die Stabilisierung der Leitwährungen, der Einsatz von Kapitalverkehrskontrollen oder eine Stärkung der Börsen- und Bankenaufsicht.

Der Vorwurf, dass Attac internationale Institutionen pauschal ablehnen würde, trifft nicht zu. Zunehmend globalisierten Märkten muss ein globaler Ordnungsrahmen entgegengesetzt werden, der die Allmacht der Märkte wieder unter demokratische Kontrolle bringt. WTO, IWF und Weltbank könnten theoretisch hierfür durchaus geeignete Institutionen sein. Solange sie jedoch unter der Fuchtel der Industrieländer stehen und der Durchsetzung der neoliberalen Marktideologie dienen, nutzen sie hauptsächlich den reichen Ländern und müssen deshalb grundlegend reformiert werden.

Beispielsweise haben die Strukturanpassungsprogramme des IWF keineswegs die Situation des Südens verbessert. Vielmehr haben die neoliberalen Patentrezepte, wie die wahllose Liberalisierung des Außenhandels und Kapitalverkehrs, Senkung der Steuersätze, Privatisierung und eine strikte Haushaltsdisziplin, gerade in Krisenzeiten die Probleme weiter verschärft. Attac ist durchaus für Globalisierung, aber für die Globalisierung von sozialer Gerechtigkeit, Umweltschutz und Demokratie.

Die Seitenhiebe Tobins auf Attac scheinen auf Unkenntnis zu beruhen. Er sagt selbst, er kenne "die Details der Attac-Vorschläge nicht genau". Von daher sehen wir ihm die Entgleisung nach, uns als "Anti-Globalisierungs-Revoluzzer" zu stigmatisieren.

Tobins Thesen von Wirklichkeit überholt

Entschieden müssen wir jedoch einigen anderen seiner Äußerungen widersprechen. Zu bestreiten, dass die Armut in der Welt zugenommen habe, läuft allen empirischen Tatsachen zuwider. Wir empfehlen ihm den jüngsten Weltbankbericht "Attacking Poverty", dort findet Herr Tobin alle einschlägigen Statistiken. Tobin ist ein guter Finanzökonom, von Entwicklungspolitik scheint er jedoch nicht viel zu verstehen. Gerade Südkorea, das Herr Tobin als Erfolgsfall anführt, ist ein Beispiel dafür, wie durch Protektionismus und rigide staatliche Regulierung das entwicklungspolitische Take-off geschafft wurde. Erst danach, als sich die Entwicklung als stabil erwiesen hatte, haben auch Südkoreas Regenten liberalisiert. "Sequenzing" sagen die Entwicklungsökonomen dazu.

Ebenso von der Wirklichkeit überholt ist die These, alle Länder und ihre Einwohner würden vom freien Austausch von Gütern und Kapital profitieren. Auch hier gibt es Weltbankstudien, die belegen, dass ohne geeignete Verteilungsmechanismen die unteren Einkommensschichten bei Handelsliberalisierungen sogar noch draufzahlen. Die liberale Vorstellung, alle Länder könnten in ganz unterschiedlichen Entwicklungsstadien ebenbürtig miteinander konkurrieren, erscheint ebenso weltfremd, wie ein Fußballspiel an einem steilen Hang als fair zu bezeichnen - oben der Norden, unten der Süden. Auch bei der Behauptung, die Globalisierungskritiker würden die weltweite Einführung von "westlichen Arbeitsstandards" in den Entwicklungsländern fordern, ist Tobin nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Bei der Diskussion um Sozialstandards in der WTO geht es um die fünf Kernarbeitsnormen der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation im Rahmen der UNO. Hier haben sich die EU, vorneweg die Bundesregierung, und die USA in der WTO an die Spitze der Bewegung gesetzt!

Wenn Tobin schließlich die nur auf Preisstabilität bedachte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank kritisiert, so können wir dem aus vollem Herzen zustimmen. Auch hier erweist sich Tobin als kompetenter Kritiker neoliberaler Politik, die die Bedienung der Interessen von Finanzanlegern als einziges Ziel von Wirtschaftspolitik ansieht. Also, streiten Sie mit uns gegen die Diktatur der Finanzmärkte, nicht gegen Attac, Herr Tobin!

Peter Wahl ist Mitglied im Koordinierungskreis von Attac Deutschland und Vorstandsmitglied der Entwicklungsorganisation WEED (World Economy, Ecology and Development).