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Warum ATTAC gegen das WEF protestiert und gegen eine Welt der Konzerne eintritt

Plädoyer für globale Vielfalt

Die Globalisierung lauft schief:

1998 lag das Pro-Kopf-Einkommen in 50 Ländern niedriger als noch 1990. Das Vermögen der 3 reichsten Personen hat sich seit 1994 verdreifacht und ist größer als das Einkommen der 48 ärmsten Länder. Und die Einkommensdifferenz des Fünftels in den reichsten Ländern und dem Fünftel in den ärmsten hat sich seit 1960 von 30:1 auf 74:1 vergrößert. Am schnellsten zugenommen hat die Armut in den Ländern des ehemaligen Ostblocks: Der Anteil der Bevölkerung, der mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen muss, hat sich seit 1987 von 0,2 auf 5,1 Prozent erhöht. Auch innerhalb der reichen Länder nimmt die Armut zu, obwohl das Pro-Kopf-Einkommen hier ununterbrochen wächst. Die globale ökologische Situation verschlechtert sich unvermindert (Treibhauseffekt, Verlust von Artenvielfalt und fruchtbarer Ackerfläche, Trinkwassermangel) und die neue Freiheit der Finanzmärkte hat vor allem Krisen gebracht, in den neunziger Jahren schon im Zwei-Jahres-Rhythmus.

Wir sind nicht gegen Globalisierung, wir sind gegen DIESE FORM der neoliberalen Globalisierung, die soziale Ungleichheiten vergrößert, unsere Lebensgrundlagen zerstört, nur einer kleinen Minderheit von "Personen, Konzernen und Ländern" nützt (Zitat UNO) und globalen Stress auslöst. Das WEF steht beispielhaft für diese Form der Globalisierung.

Die Mitglieder des WEF nennen sich "globale Führer", obwohl keine demokratische Institution sie als solche gewählt oder ernannt hat. Sie verfügen über große Macht, die durch das Hineilen von PolitikerInnen zu ihren Treffen verstärkt wird. Sie repräsentieren auch nicht DIE Wirtschaft: Über 90% aller Unternehmen sind KMU, die sind aber nicht im WEF vertreten. Die ArbeitnehmerInnen- und KonsumentInnenseite ist gar nicht vertreten. Ebensowenig der Süden: Damit sind 80% der Welt ausgeblendet im "Weltwirtschaftsforum".

ATTAC bezweifelt die beanspruchte Führungskompetenz des WEF und lehnt eine Welt unter der Führung der großen Konzerne aus mehreren Gründen ab:

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Die Spielregeln für die Globalisierung kommen unter dem Einfluss der Konzernlobbys und dem Druck der Finanzmärkte auf zunehmend undemokratische Weise zustande, wichtige Entscheidungen werden auf bürgerferne Instanzen verlagert, weil sie demokratisch nicht durchsetzbar wären. Diese bürgerfernen, technokratischen Instanzen wie EU-Kommission und Rat (nicht das Parlament), die Welthandelsorganisation, Weltbank, IWF oder OECD sind für die Lobbyorganisationen der Großkonzerne sehr viel zugänglicher als für alle anderen Gruppen der Gesellschaft.

Paradoxerweise reden diese Lobbyorganisationen unermüdlich von staatlicher Deregulierung, wenn es um den Schutz von Umwelt, ArbeitnehmerInnen oder Gemeinwohlinteressen geht, während sie gleichzeitig neue staatliche Regulierungsabkommen - solche, die ihnen nützen - lobbyieren und durchsetzen. Drei Beispiele:
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Großkonzerne, und dazu zählen die Mitglieder des WEF, nützen Umweltdumping, Steuerdumping, Sozialdumping schamlos aus, obwohl sie dauernd betonen, dass ihnen das Gemeinwohl auf dem Herzen liegt und sie "den Zustand der Welt verbessern" wollen. Sie benutzen die Wettbewerbslogik, um Steuergerechtigkeit zu untergraben, Umweltgesetze auszuhebeln und Sozialstandards aufzuweichen. Das WEF fordert diesen destruktiven Wettbewerb, anstatt zu sagen: Es dürfen nur diejenigen in freien Wettbewerb zueinander treten, die sich auf faire Spielregeln in Form hoher Steuer-, Sozial- und Umweltstandards geeinigt haben. Das tut das WEF, das den Zustand der Welt angeblich verbessern will, nicht.

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Eine immer wiederkehrende Hauptforderung großer Konzerne ist die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. Mit Erfolg: Regelungen zum Schutz der ArbeitnehmerInnen werden aufgeweicht, die atypischen Beschäftigungsverhältnisse nehmen rasant zu, alle müssen so flexibel werden wie das Kapital. Die Beschleunigung und der zunehmende Druck führen zu Stress, Burn out und zu einem Ansteigen der Berufskrankheiten, die Lebensqualität sinkt. Psychopharmaka sind diejenige Medikamentengruppe, deren Absatz am schnellsten steigt. Man kann besonders hier fragen: Soll die Wirtschaft dem Menschen dienen, oder sollen sich die ArbeitnehmerInnen an die Bedürfnisse einer möglichst effizienten Verwertungslogik anpassen? Das WEF, das sich so ums Gemeinwohl sorgt, fordert hartnäckig letzteres.

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Die Mitglieder des WEF sprechen von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, aber schon beim ersten Schritt, beim Steuerzahlen, machen sie einen Rückzieher. Die Besteuerung von Gewinnen und Vermögen geht kontinuierlich zurück, obwohl diese ebenso kontinuierlich anwachsen. In der Folge müssen die Staatseinnahmen zunehmend von den wirtschaftlich schwächeren Akteuren geholt werden: In der EU ist in den letzten 15 Jahren ist die durchschnittliche Besteuerung von Kapital von 45% auf 35% gesunken, während die durchschnittliche Besteuerung von Arbeit von 34% auf 42% gestiegen ist (EU-Kommisson). Mit anderen Worten, das Gemeinwohl wird in steigendem Maße von den wirtschaftlich Schwächeren und in sinkendem Maße von den "globalen Führern" finanziert.

Und wie schaut´s bei den Arbeitsplätzen aus? Die 500 erfolgreichsten Unternehmen haben zwischen 1980 und 1995 jedes Jahr netto 400.000 Arbeitsplätze abgebaut. In der EU haben Großunternehmen (mehr als 100 Mitarbeiter) zwischen 1988 und 1995 jedes Jahr 220.000 Arbeitsplätze zerstört - netto. Dass die Arbeitslosigkeit nicht noch stärker angestiegen ist, verdanken wir den kleinen Unternehmen (die beim WEF nicht vertreten sind): Sie haben im selben Zeitraum jährlich 260.000 Arbeitsplätze geschaffen. Dennoch orientiert sich die Wirtschaftspolitik vorrangig an den Bedürfnissen der Großen. Beispielsweise nützt eine Kapitalmarktoffensive ausschließlich den börsennotierten Konzernen.

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Die Konzerne wollen nicht nur immer weniger geben, sondern auch immer mehr nehmen und machen Druck in Richtung Privatisierungen, nach dem Motto: ?Der Markt ist überall besser als der Staat', so als ob es kein Marktversagen gäbe. Die sozialen Sicherungssysteme, bisher solidarisch organisiert, sollen nun Gewinne für Private abwerfen. Unter dem Vorwand der Unfinanzierbarkeit versucht die Finanzindustrie, die öffentlichen Solidarsysteme zu zerstören und durch unsolidarische, teurere und risikoreichere private Systeme zu ersetzen, vor allem in Osteuropa (ökonomisches Hauptthema des WEF). In Kooperation mit der Weltbank und mit einem massiven Werbefeldzug macht die Finanzindustrie politischen Druck auf Entscheidungsträger und psychologischen Druck auf die Menschen, um das Vertrauen in das solidarische Umlageverfahren zu zerstören. ATTAC zeigt, dass nicht nur das staatliche Umlageverfahren bei einigem politischen Gestaltungswillen dauerhaft finanzierbar ist, sondern vor allem, dass das Kapitaldeckungsverfahren gegen die kommende demografische Belastung noch viel anfälliger ist als das Umlageverfahren (Positionspapiere ATTAC fertig).

Aber den Finanzkonzernen geht es ja nicht um die Lösung eines demographischen Problems, sondern darum, einen Non-profit-Sektor in einen Profit-Sektor umzuwandeln im Sinne einer universalen Verwertungslogik. Wohin es führt, wenn alles undifferenziert privatisiert wird, zeigen zahlreiche Beispiele.

Marktversagen Nummer eins: Stromversorgung in Kalifornien.

Marktversagen Nummer zwei: Privatisierter Massentransport in Großbritannien.

Marktversagen Nummer drei: Trinkwasserverteuerung in Brasilien.

Marktversagen Nummer vier: gekrachte Pensionsfonds in Japan, Schweiz, GB.

Das Marktversagen bei der Bereitstellung kollektiver Güter ist in der ökonomischen Theorie bestens dokumentiert: Bereitstellung kollektiver Güter durch Private führt zu Überpreisung und Unterversorgung. Am Beispiel der Pensionen: Diese werden teurer und nicht alle bekommen sie: Die Altersarmut wird ansteigen. Wer essentielle Versorgungsleistungen privatisieren will, kann nicht das Gemeinwohl im Schilde führen.

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Das WEF treibt die Globalisierung in eine grundfalsche Richtung.

Die Mitglieder des WEF wollen Wohlstand für alle (dieses Ziel hat auch ATTAC) über ein Freihandelsregime erreichen. Doch die Erfahrung hat gezeigt, dass Freihandel weder in der Lage ist, Wohlstand für alle Beteiligten zu bringen - im Gegenteil, die große Mehrheit verliert - noch die Lebensgrundlagen zu bewahren. Kurz: Freihandel ist das falsche Rezept. Ein erfolgversprechenderes Konzept ist Nachhaltige Entwicklung, wenn man sie ernsthaft umsetzt und nicht als Worthülse missbraucht. Eine Kernvoraussetzung für nachhaltige Entwicklung ist ökologische Kostenwahrheit. Würde Kostenwahrheit herrschen, würden sich ganz andere Wirtschaftsstrukturen bilden als heute, der Welthandel würde zugunsten regionaler Wirtschaftskreisläufe zurückgehen (Äpfel kämen nicht aus Chile, Blumen nicht aus Kolumbien, Holz nicht aus Westafrika), industrielle Landwirtschaft würde unrentabel und die PEN wären schlicht überflüssig, weil langstreckentransporte Güter nicht wettbewerbsfähig wären gegenüber Nahversorgungsprodukten.

Dazu kommt, dass über das jetzige Freihandelsregime (und infolge mangelnder Kostenwahrheit) unser nicht nachhaltiges Wirtschaftsmodell in den "Rest" der Welt (80% der Menschen leben in nicht industrialisierten Ländern) exportiert wird. Dieser Neoimperialismus von Produktionsmustern und Konsumgewohnheiten stellt vermutlich die größte Vernichtung von Vielfalt dar, die es in der Kulturgeschichte gegeben hat. Globalisierung, die unter dem Leitbild des Freihandels abläuft, führt zum Verlust von Märkten, Kulturen, Sprachen, Küchen und Lebensstilen. Eine konzerngesteuerte Globalisierung endet in der globalen Monokultur und konterkariert das Motto des WEF, das "auf Vielfalt bauen" will. (Die laufende Mergermania ist auch nicht gerade dazu angetan, die Vielfalt zu erhöhen.)

Der vermutlich verhängnisvollste Verlust von Artenvielfalt findet in der Landwirtschaft statt. Von einst 20.000 Apfelsorten ist noch rund ein Dutzend im Handel erhältlich. Diese Verarmung stellt laut FAO eine Bedrohung für die Ernährungssicherheit der Menschheit dar.

Die Zerstörung von Artenvielfalt erfolgt nicht in der biologischen Landwirtschaft, sondern in der industriellen und konzernkontrollierten Exportlandwirtschaft. Biobauern - auch sie sind Unternehmer - sind aber nicht beim WEF vertreten. Vielleicht werden sie deshalb auch politisch geschnitten: Den Biobauernverbänden wurde das Budget heuer um 20 Prozent gekürzt, der Arche Noah, die sich um den Erhalt von wertvollem Saatgut und um ökologische Vielfalt bemüht, sogar um 50 Prozent. Gentechnik ist nicht nur der Turbo bei der Sortenverarmung, sondern auch ein Hauptthema des WEF.

Zusammenfassend:

Die freihandelsgetriebene Globalisierung mit destruktivem Standortwettbewerb und Kostenunwahrheit wird die Probleme der Menschheit nicht lösen können; im Gegenteil: Sie hat sie zu einem Gutteil geschaffen und wird sie weiter verschärfen. Das WEF hat daher in unseren Augen keine Problemlösungskompetenz. Es schmückt sich mit hübscher Rhetorik, will im Grunde aber nur Profit für seine Mitglieder.

Noch schlimmer: Es versucht, mit Sachzwangargumenten jeden politischen Fortschritt zu blockieren. Das WEF ist gegen Kostenwahrheit, es blockiert Steuergerechtigkeit, das WEF verweigert die Stabilisierung der Finanzmärkte, es sperrt sich gegen die Tobin-Steuer und tut auch nichts zur Entschuldung der armen Länder.

Auf der anderen Seite stehen wir, die Menschen in und um ATTAC, die für die Stabilisierung der Finanzmärkte, für Steuergerechtigkeit, Kostenwahrheit, hohe Sozial- und Umweltstandards und die Entschuldung der armen Länder eintreten, und dafür als "Globalisierungsgegner" bezeichnet werden.

Wir ersuchen die Medien, die bisher so genannten Globalisierer als "Verhinderer einer sozial gerechten und ökologisch verträglichen Globalisierung" umzubenennen und zivilgesellschaftliche Organisationen wie ATTAC, die von Beginn an global organisiert sind und an Lösungen für die Menschheitsprobleme basteln, als Befürworter, Vorkämpfer oder Advokaten einer konstruktiven Globalisierung anzuerkennen.