Attac prägt die österreichische Zivilgesellschaft mit
Im Frühjahr und Sommer 2000 herrschte Aufbruchstimmung unter einer wachsenden Gruppe von politisch engagierten Menschen in Österreich. Ihr Ziel: Die Gründung einer neuen politischen Bewegung. Nach dem Vorbild in Frankreich sollte eine Kraft entstehen, die den negativen Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung, der Macht multinationaler Konzerne sowie internationaler Finanzinstitutionen politische Alternativen entgegenstellt – und als Teil der weltweiten globalisierungskritischen Bewegung Gegenmacht aufbaut: Attac Österreich!
Eine Bewegung mit globalen Wurzeln

Die Ursprünge der globalisierungskritischen Bewegung reichen zurück bis in die 1980er Jahre. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank zwangen damals zahlreichen südamerikanischen und afrikanischen Staaten radikale Kürzungsprogramme und Privatisierungen auf. Sie verschärften damit die soziale Lage und Armut dramatisch. Die Folge war eine immer stärker werdende Protestbewegung im Globalen Süden gegen diese – vom Norden dominierten – Institutionen. Doch bereits 1988 demonstrierten auch in Westberlin 80.000 Menschen (!) gegen IWF und Weltbank.
Nach Zusammenbruch des Realsozialismus waren die erste Hälfte der 1990er Jahre die Hochzeit der ungezügelten Globalisierung. Ab 1994 sorgte die Rebellion der „Zapatistischen Befreiungsarmee“ in Mexiko für internationales Aufsehen. Sie richtete sich vor allem gegen die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA), die transnationalen Konzernen diente und lokale Gemeinschaften zerstörte. Mit ihrem Widerstand und ihren partizipativen Entscheidungsprozessen ohne zentralistische Führung wurden die Zapatisten zu einer prägenden Kraft für eine immer stärker vernetzte globale Bewegung.
1998 entstand mit dem People’s Global Action (PGA) ein globales Netzwerk, das eine Schlüsselrolle in den kommenden Protestbewegungen gegen die 1995 gegründete Welthandelsorganisation WTO spielte. Den Durchbruch ins globale Scheinwerferlicht erreichte die Bewegung im November 1999 mit den massiven Protesten gegen die WTO-Minister*innenkonferenz in Seattle.
Attac startet in Frankreich

Bereits 1997 riss eine gigantische Spekulationswelle Südostasien in die Krise. Der Chefredakteur der "Le Monde diplomatique (LMD)", Ignacio Ramonet, publizierte daraufhin im Dezember 1997 einen Aufruf zur Kontrolle der Finanzmärkte. "Warum gründen wir nicht eine weltweite Organisation, die sich für die Einhebung einer Tobinsteuer zugunsten der Menschen einsetzt?" Aus dem französischen "Association pour une taxation des transactions financières pour l´aide aux citoyens" entstand das Kürzel ATTAC. Mit der breiten Zustimmung von vielen Organisationen hatte Ramonet nicht gerechnet. Attac Frankreich wurde am 3. Juni 1998 gegründet und hatte nach einem Jahr bereits 10.000 Mitglieder.
Attac als Radiosendung – oder doch gleich als Teil der globalen Bewegung?
Auch aufgrund des internationalen Erscheinens der LMD strahlte Attac rasch europa- und weltweit aus und traf dabei den Nerv der Zeit. Im Jänner 2000 wurde Attac Deutschland gegründet.
All diese neuen globalen Entwicklungen wurden auch in Österreich von immer mehr Menschen mit wachsendem Interesse verfolgt. Von der Idee eine freie Radiosendung über Attac zu gestalten, sprang der Funke im Frühjahr 2000 über zum Vorhaben, Attac doch gleich selbst zu gründen. Anders als in Frankreich war die zündende Idee dafür aber kein solitärer Akt, sondern Folge vieler Gespräche und paralleler Ansätze. Und von Anfang an spielten starke Frauen dabei eine zentrale Rolle – eine wichtige Leitlinie, der Attac Österreich bis heute treu geblieben ist.
Den Nukleus für die Gründung setzte ein erstes Vernetzungstreffen im Mai 2000 in der Wiener Berggasse. Im Anschluss an dieses Treffen bildete sich ein Kernteam, das die weitere Gründung vorbereitete und koordinierte*. Die Analyse, dass Österreich dringend eine Bewegung benötigt, die den wirtschaftspolitisch und medial vorherrschenden Diskurs über die vermeintlichen Segnungen der Globalisierung verändert, fand jedenfalls breite Zustimmung. Eingerichtet wurden je eine Arbeitsgruppe zum Bereich Strukturen/Statuten und eine für die Erarbeitung der Gründungsdeklaration. In ihr fanden sich zentrale Forderungen wie die Kontrolle der Finanzmärkte, die Entschärfung des Standortwettbewerbs, Entschuldung, Demokratisierung oder Steuergerechtigkeit wieder.
Die Attac-Gründungsveranstaltung selbst fand dann am 6. November 2000 im Semper-Depot mit mehr als 300 Menschen statt. Neben den Proponent*innen saßen Susan George (Attac Frankreich), Stephan Schulmeister (WIFO), die Journalistin und Philosophin Ursula Baatz und Brigitte Unger (Wirtschaftsuniversität Wien) auf dem Podium.

Was Attac so einzigartig macht
Der breite Zuspruch, den Attac sofort nach der Gründung erfuhr, war kein Zufall. Schon im Gründungsprozess wurde Attac von Menschen aus verschieden politischen Kontexten mitgetragen und mitaufgebaut – sei es aus Gewerkschaften, dem entwicklungspolitischen Bereich, katholischen Gruppen oder Ökonom*innen aus dem BEIGEWUM. Neben der starken internationalen Vernetzung mit der globalisierungskritischen Bewegung ermöglichte das von Anfang an die Arbeit und die Initiierung von tragfähigen und breiten Brücken und Bündnissen in Österreich, auf EU-Ebene und darüber hinaus.
Ebenso gelang es, bei Attac eine neue, vertrauensvolle, wertschätzende und freudvolle Kultur des politisch miteinander Arbeitens zu etablieren. Es gab niederschwellige Aktions- und Bildungsmöglichkeiten und österreichweite – von Partikular-, Partei- und Organisationsinteressen völlig unabhängige – Strukturen.
Heute wie vor 25 Jahren gibt Attac damit Menschen jeden Alters die Möglichkeit politische Erfahrung zu sammeln, diese zu professionalisieren und auch in ihre weitere berufliche Zukunft mitzunehmen. Zusätzlich zu den eigenen Erfolgen strahlt Attac damit in die österreichische Zivilgesellschaft und neuere Bewegungen aus und prägt sie mit – eine Qualität, die uns bis heute auszeichnet und einzigartig macht.
* Das Kernteam bildeten Alexandra Strickner, Karin Küblböck, Christian Felber und Bernhard Obermayr. Eng involviert waren zudem Helga Köcher, Elisabeth Klatzer, Sepp Wall-Strasser, Karin Lukas, Ana Moreno, Markus Schallhas, Markus Koza, Leonhard Plank und frühe Unterstützer wie Stephan Schulmeister. Viele weitere bleiben hier mangels Rechercheressourcen leider unerwähnt!

