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Ein Kuckucksei namens EU-Mindeststeuer

Die wichtigsten Steuersümpfe werden profitieren

Von Martina Neuwirth (VIDC) und David Walch (Attac Österreich)

Es ist kaum zu glauben: Ausgerechnet die größten europäischen Steuersümpfe wie Irland oder Ungarn werden von der neuen EU-Mindeststeuer profitieren. Und das Steuerdumping wird dadurch weiter angeheizt. Wissen die EU-Staaten eigentlich, was sie da gerade einstimmig einzementiert haben?

Knapp vor Weihnachten einigten sich die EU-Staaten auf die Einführung einer Konzern-Mindeststeuer in der Höhe von 15 Prozent. Ein „Herzensprojekt“ nannte das etwa der deutsche Kanzler Olaf Scholz. Die EU setzt damit einen Teil („Säule 2“) der entsprechenden OECD-Vorgaben um, auf die sich 136 Länder bereits 2021 geeinigt hatten. Die mediale Berichterstattung zur EU-Mindeststeuer konzentrierte sich vorrangig auf die anfängliche Blockade Ungarns und den Kuhhandel um deren Auflösung. Eine genaue Erklärung, was genau eigentlich beschlossen wurde, blieb auf der Stecke. Das verwundert kaum, sind doch internationale Steuerregeln äußerst komplex und schwer vermittelbar. Doch der Teufel liegt wie so oft im Detail – besonders in diesem Fall.

Wie die Mindeststeuer funktioniert

Zunächst muss man verstehen, dass die Mindeststeuer nicht bedeutet, dass jedes Land seine Unternehmenssteuern auf mindestens 15 Prozent festsetzen muss. Staaten können niedrigere Steuersätze beibehalten – auch EU-Steuersümpfe wie Irland oder Ungarn mit 12,5 oder 9 Prozent. Die Mindeststeuer gibt aber – vereinfacht gesagt - den Konzernsitzländern das Recht, jenen Teil der weltweit erzielten Gewinne* nachzubesteuern, der mit weniger als 15 Prozent besteuert wurde.

Eine grundlegende Kritik an den OECD-Steuerplänen wurde bereits an anderer Stelle formuliert: Die 15 Prozent Mindeststeuer sind viel zu niedrig, um den Steuerwettbewerb zu stoppen. Zudem sind 90 Prozent aller Konzerne gar nicht betroffen, da die Regeln nur für Konzerne ab einer hohen Umsatzschwelle von Umsatz von 750 Millionen Euro gelten. Und das Konzept benachteiligt die ärmsten Staaten, da die zusätzlichen Einnahmen primär in den Konzern-Sitzländern landen – und nicht dort, wo die tatsächliche Wertschöpfung passiert. Doch der wahre Clou folgt erst:

Alle Einnahmen gehen nun an Steuersümpfe

Auf Betreiben der wichtigsten Steuersümpfe wurde von OECD und EU ein weiterer Mechanismus aufgenommen, der die erhoffte Wirkung der Steuer völlig umkehrt, ja ad absurdum führt. Dank der Möglichkeit einer nationalen Ergänzungssteuer** können die Steuersümpfe nun genau jenen Teil der Gewinne, der sonst woanders nachbesteuert würde, selbst besteuern. Gleichzeitig können sie ihre generell niedrigen Steuersätze für alle anderen – von der Mindeststeuer nicht betroffenen - Unternehmen behalten. Die nun nachgereihten Staaten gehen in diesem Fall leer aus. Ihre Steuerbasis wird weiterhin ausgehöhlt, obwohl in bei ihnen oftmals der Großteil an Wertschöpfung stattfindet.

Zugleich können Steuersümpfe die neuen Einnahmen der nationalen Ergänzungssteuer durch diverse Zuckerl (wie Förderungen etc.) wieder an die Konzerne zurückgeben. Dies ist keinesfalls bloße Theorie: In der Schweiz etwa soll die nationale Ergänzungssteuer „haushaltsneutral“ sein, um „die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz“ zu verbessern. Kurzum: Mit der Mindeststeuer bleiben die Steuersümpfe für die Konzerne weiterhin höchst attraktiv und lukrativ, während anderen Staaten wichtige Steuereinnahmen fehlen

Noch mehr Steuerdumping

Damit nicht genug: Dienationalen Ergänzungssteuer erhöht sogar noch den Anreiz von Steuersümpfen ihre Steuersätze weiter zu senken. Dies gilt insbesondere für jene Länder, die schon jetzt extrem niedrige Steuersätze haben. Senkt ein Staat nun seine Konzernsteuern (ev. sogar auf null), maximiert er seine Anziehungskraft für Gewinnverschiebungen oder Produktionsverlagerungen, während er gleichzeitig noch immer Einnahmen generieren kann. Die Mindeststeuer schafft zwar eine - extrem niedrige - Untergrenze für die Steuerleistung von Konzernen, nicht aber für das ruinöse Steuerdumping zwischen den Staaten.

Für Österreich beispielsweise könnte die Mindeststeuer bedeuten, dass der Nachbarstaat Ungarn sein Steuerdumping (derzeit 9 Prozent Gewinnsteuer) fortführen, ja sogar noch verschärfen wird, während Österreich – obwohl es das Sitzland manches Konzerns ist – das Nachsehen hat.

Was wäre die Lösung?

Die Mindeststeuer ist in der nun beschlossenen Form ein Glücksfall für Steuersümpfe. Sie wird weder das Steuerdumping stoppen noch dafür sorgen, dass die Gewinne endlich dort fair besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden. Dafür wäre es nötig, die internationalen Steuerregeln endlich völlig neu zu schreiben. Die Lösung dafür liegt schon lange auf dem Tisch und heißt Gesamtkonzernsteuer. Dabei werden Konzerntöchter auf Basis des global erzielten Gewinns eines Konzerns besteuert. Dieser Gewinn wird je nach realer Wertschöpfung anteilig auf Länder aufgeteilt und dann entsprechend besteuert. Kombiniert mit einem echten Mindeststeuersatz von beispielsweise 25 Prozent hätten die Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne damit endlich ein Ende. Die aktuelle Mindeststeuer hingegen erweckt den Eindruck als sei der politische Wille dafür gar nicht vorhanden.


* Von der Differenz zur Mindeststeuer werden dabei 5 Prozent der Summe aus Vermögenswerten und Lohnsumme des Konzerns abgezogen. Dies hat zur Folge, dass multinationale Konzerne weniger als den angeblichen Mindestsatz von 15 Prozent zahlen können. 

** Die sogenannte „Qualified Domestic Minimum Top-up Tax (QDMTT)“


Martina Neuwirth arbeitet am Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) zu den Bereichen internationale Finanz- und Wirtschaftspolitik, mit dem Schwerpunkt auf internationaler Steuerpolitik.

David Walch ist Sprecher bei Attac Österreich und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem internationalen Steuersystem.

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