Der Gerichtshof der Europäischen Union hat heute ein bahnbrechendes Urteil gefällt und die Paralleljustiz für Konzerne im Rahmen des Energiecharta-Vertrags (ECT) zwischen EU-Staaten für EU-rechtswidrig erklärt. (1)
Wie zahlreiche Beispiele zeigen, nutzen fossile Energiekonzerne den ECT um Staaten via Paralleljustiz für Klimaschutz-Gesetze abzustrafen, wenn sie ihre Profite dadurch bedroht sehen. Das Urteil könnte somit direkte Auswirkungen auf laufende EU-interne Klagen von Energiekonzernen haben. So verklagen etwa die Kohlekonzerne UNIPER und RWE die Niederlande wegen ihres Kohleausstiegs auf Milliarden Entschädigung. Der ECT gefährdet die Umsetzung von dringend nötigen Klimaschutz-Gesetzen zusätzlich, indem Konzerne Staaten allein mit der Androhung von Klagen unter Druck setzten können.
„Der heutige Tag ist ein guter Tag für den Klimaschutz. Denn der ECT ist ein mächtiges Instrument, um die Energiewende von klimaschädlichen fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien zu blockieren. Das heutige Urteil macht klar, dass EU-interne Klagen auf Basis dieses Klimakiller-Vertrages keinen Bestand haben werden. Die Schiedsgerichte sollten das heutige Urteil bestätigen und auf die Anwendung des Vertrags verzichten“, erklärt Lena Gerdes von Attac Österreich.
EU-Staaten sollen grundsätzlich aus dem Energiecharta-Vertrag aussteigen
Für Attac sind aber nun vor allem die Regierungen gefordert: Die österreichische Regierung und sämtliche EU-Staaten sollten als logische Konsequenz den Energiecharta-Vertrag sofort wechselseitig beenden.
Um sich auch gegen Konzernklagen aus Drittstaaten zu schützen, sollten die EU-Staaten einen schnellstmöglichen generellen Ausstieg aus dem ECT in die Wege leiten, fordert Attac. EU-Mitgliedsstaaten wie Frankreich, Spanien, Polen und Griechenland haben sich der Forderung bereits angeschlossen. (2) Mehr als eine Million EU-Bürger*innen fordert die Abschaffung des ECT.
Hintergrund:
Der Energiechartavertrag (ECT) ist ein internationales Investitionsabkommen, dem sowohl die EU und ihre Mitgliedstaaten (Italien trat 2016 aus) als auch Nicht-EU-Staaten angehören. Mehr Informationen hier.
(1) Im Jahr 2018 Hat der Europäische Gerichtshof im Achmea-Urteil festgestellt, dass eine Paralleljustiz für Konzerne in Investor-Staat-Streitigkeiten (ISDS) zwischen EU-Ländern nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist, da sie die Befugnisse der EU-Gerichte untergräbt. Das heutige Urteil basiert auf der Überprüfung des ISDS-Urteils des ukrainischen Investors Komstroy gegen Moldawien. Darin formulierte der EuGH eine Meinung zur intra-EU Anwendung des ECT, demnach die Entscheidung aus dem Jahr 2018 auch für den Energiecharta-Vertrag gilt. Die Passage hat zwar noch keine sofortige rechtsbindende Wirkung auf laufende Schiedsklagen. Das heutige Urteil gibt jedoch einen klaren Hinweis auf die Argumentation des Gerichtshofs in zwei weitere Klagen vor dem EuGH, die sich mit der Anwendung des ECTs innerhalb der EU beschäftigen, deren Urteil für 2022 erwartet wird.
(2) Der Austritt aus dem ECT muss mit einer Vereinbarung zwischen allen austretenden Staaten einhergehen, um die "Sunset-Klausel" zu neutralisieren, die es Investoren erlaubt, für weitere 20 Jahre nach dem Austritt ISDS-Klagen im Zusammenhang mit bestehenden Investitionen zu erheben. Ein koordinierter EU-Austritt aus dem ECT würde den Schutz fossiler Brennstoffe in den Staaten, die aus dem Vertrag austreten, sofort beenden. Da 60 Prozent der Fälle, die sich auf den ECT stützen, innerhalb der EU stattfinden, würde dies das Risiko künftiger Klagen gegen den Fortschritt beim Klimaschutz verringern.