Am 5. Mai haben 23 von 27 EU-Staaten bilaterale Investitionsabkommen zwischen EU-Staaten beendet, die Sonderklagerechte für Konzerne beinhalten. (1) Grund dafür ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus 2018, das Sonderklagerechte für unvereinbar mit EU-Recht erklärt. (2) Österreich hat als eines von nur vier Ländern das entsprechende Abkommen nicht unterzeichnet.
Die Plattform „Anders Handeln“ kritisiert dieses Vorgehen scharf: „Es ist ein Skandal, dass die Regierung den EuGH-Beschluss und einen schon vorhandenen Ministerratsbeschluss nicht umsetzt. Sonderklagerechte für Konzerne (ISDS) bedrohen eine Politik im Interesse des Gemeinwohls und sind mit der Demokratie unvereinbar. Investoren haben ausreichend Rechtssicherheit für ihre Investitionen – dies gilt in besonderem Maß für die EU. Eine Paralleljustiz für Konzerne ist daher gefährlich und unnötig – sowohl innerhalb der EU als auch weltweit“. Die Plattform fordert die Regierung auf, das Beendigungsabkommen zu unterzeichnen.
Haben Banken erfolgreich für Schwenk der Regierung lobbyiert?
Bemerkenswert ist, dass die Regierung Bierlein das entsprechende Beendigungsabkommen am 18. Dezember 2019 genehmigt und die erforderlichen Schritte für die Unterzeichnung in die Wege geleitet hat. (4) Anders Handeln fordert die Regierung auf, die Gründe für den nunmehringen Schwenk auf den Tisch zu legen. Aktuell sind vier ISDS-Klagen österreichischer Banken gegen Kroatien bei Schiedsgerichten anhängig. Raiffeisenbank, Erste Bank, Addiko Bank und Bank Austria setzen auf Sonderklagerechte, um ihre Interessen durchzusetzen. Sie stützen sich dabei auf das österreichische Investitionsabkommen mit Kroatien.
Hätte Österreich das Beendigungsabkommen am 5. Mai unterzeichnet, so wären Österreich und Kroatien verpflichtet, den Schiedsgerichten in einer gemeinsamen Erklärung mitzuteilen, dass die im Investitionsabkommen vereinbarte Schiedsklausel nicht anwendbar ist. Eine solche Erklärung wird nun wohl nicht erfolgen. „Es stellt sich die Frage, ob die Banken hier erfolgreich für ihre Sonderklagerechte lobbyiert haben“, erklärt die Plattform Andres Handeln.
Insgesamt basieren 11 der 25 bekannten ISDS-Klagen von österreichischen Konzernen auf EU-internen Investitionsabkommen. Beispielsweise klagte die EVN AG 2013 gegen Bulgarien, weil sie sich bei der Preisfestsetzung für Strom und der Vergütung von erneuerbarer Energie durch den bulgarischen Staat finanziell benachteiligt sah.
Meinl-Bank-Klage gegen Österreich
Umgekehrt hat auch Österreich bereits mit der Schiedsklage eines Investors „Bekanntschaft gemacht“: Die Meinl-Bank klagte Österreich auf der Grundlage des österreichischen Investitionsabkommens mit dem Steuersumpf Malta. Kurz davor hatte die Meinl-Bank-Mutter den Firmensitz auf Malta verlegt. Zwar obsiegte Österreich in dem Verfahren, die Verfahrenskosten für die Republik beliefen sich aber auf rund 5 Millionen Euro. „Die Allgemeinheit verliert also in jedem Fall, wenn Konzerne Sonderklagerechte erhalten, die sonst niemand in der Gesellschaft hat“, kritisiert Anders Handeln. Nach der zurückgewiesenen ersten Klage hat die Meinl-Bank die Republik wegen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auf 400 Millionen Euro Schadensersatz zum zweiten Mal geklagt.
Ablehnung von ISDS ist ungebrochen hoch
Seit Jahren gibt es große Kritik an der Paralleljustiz für Konzerne. Nachdem sich EU-weit 3,5 Mio. Menschen die im Rahmen der „TTIP Stoppen“-Kampagne sich gegen dieses System aussprachen, haben im Jahr 2019 847.000 Menschen die Petition „Rechte für Menschen, Regeln für Konzern – Stopp ISDS“ gegen Sonderklagrechte für Konzerne unterzeichnet. Die Unterschriften wurden Anfang 2020 an Vizekanzler Kogler übergeben.
Weltweit nehmen die Klagen von Investoren gegen Staaten in den letzten Jahren rasant zu, seit April 2020 sind mehr als 1000 Fälle bekannt. Diese Zahl steigt möglicherweise bald weiter an, denn Anwaltskanzleien, die auf solche Klagen spezialisiert sind, schreiben jetzt schon Analysen für Konzerne - mit Blick auf potentielle Klagen gegen Staaten aufgrund vom Maßnahmen gegen die Covid-19 Pandemie.
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Die Plattform Anders Handeln wurde initiiert von Attac, GLOBAL 2000, Südwind, den Gewerkschaften PRO-GE, vida und younion _Die Daseinsgewerkschaft, der Katholischen ArbeitnehmerInnenbewegung sowie der ÖBV-Via Campesina Austria und wird von rund 50 weiteren Organisationen unterstützt.
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Hintergrund:
- Intra-EU Investitionsabkommen (BITs) wurden ursprünglich zumeist zwischen west- und osteuropäischen EU-Staaten nach dem Zerfall der Sowjetunion geschlossen und beim EU-Beitritt dieser Staaten nicht beendet. Die internationale Kritik daran wächst seit Jahren. Osteuropäische Staaten sind aufgrund der enthaltenen Sonderklagerechte für Konzerne mit einer Reihe von ISDS-Klagen . (Investor to state dispute Settlement, ISDS) konfrontiert.
- Der EuGH urteilte im Achmea-Urteil am 6. März 2018, dass Schiedsklauseln in Investitionsabkommen innerhalb der EU nicht mit EU-Recht vereinbar sind. Die Entscheidung betraf einen Streit zwischen dem niederländischen Unternehmen Achmea und der Slowakei über die Vereinbarkeit einer ISDS-Entscheidung mit den EU-Verträgen. Der Fall entstand im Anschluss an einen Streit über die slowakische Gesundheitsreform zwischen dem niederländischen Investor Achmea und der slowakischen Regierung. Achmea trat 1997 in den slowakischen Versicherungsmarkt ein und expandierte 2006 auf den Krankenversicherungsmarkt. Nach einer Reihe von Reformen im Jahr 2006 auf dem slowakischen Krankenversicherungsmarkt beschloss Achmea, eine Klage vor einem ISDS-Tribunal auf der Grundlage des niederländisch-slowakischen bilateralen Investitionsvertrags (BIT) einzureichen.
Die slowakische Regierung verlor den Fall vor dem Investitionsgericht und das Gericht erließ einen Schiedsspruch in Höhe von rund 25 Millionen EUR gegen die Slowakei, die sich weigerte, die Zahlung zu leisten. Als Achmea beschloss, den Schiedsspruch vor deutschen Gerichten durchzusetzen, fragte der deutsche Bundesgerichtshof den Europäischen Gerichtshof, ob der ISDS-Mechanismus im slowakisch-niederländischen Investitionsabkommen mit den EU-Verträgen vereinbar sei.
Die EU-Kommission hatte bereits vor dem Urteil des EuGH die Rechtsansicht vertreten, dass die entsprechenden bilateralen Investitionsabkommen gegen EU-Recht verstoßen und schon 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.
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