Eine kleine Geschichte der Finanztransaktionssteuer

Sand ins Getriebe der Finanzmärkte

Die Finanztransaktionssteuer ist seit 1998 eine Gründungsforderung von Attac. Sie ist eine Steuer, die bei Geschäften (Transaktionen) auf den Finanzmärkten gezahlt werden muss. Das können zum Beispiel Geschäfte mit Währungen (Geld verschiedener Länder) sein, wie zum Beispiel der Tausch von Euro in Dollar. Es kann aber auch der Handel mit Aktien (Anteile an Unternehmen) sein oder der Handel mit Anleihen (Schuldscheine) und anderen Finanzpapieren (Derivaten). Auf den Kauf /Verkauf von solchen Finanzvermögen soll ein geringer Steuersatz von 0,1 bis zu 0,5 Prozent erhoben werden.

Woher stammt die Idee - und warum gibt es die Steuer immer noch nicht?

Prolog

Erste Überlegungen zu einer Finanztransaktionssteuer (FTS) für den Aktienmarkt gehen auf John Maynard Keynes zurück. Nach der Großen Depression der 30er Jahre schlug er vor, dadurch nicht kurzfristige und spekulative, sondern langfristige und nachhaltige Geschäfte und Investments zu fördern.

Die FTS wird häufig mit der 1972 von James Tobin vorgeschlagenen "Tobinsteuer" in Verbindung gebracht. Eine FTS auf Währungstausche (Devisengeschäfte) sei eine wirksame Möglichkeit die schädlichen Auswirkungen von Währungsspekulation auf ganze Volkswirtschaften einzudämmen und die Wechselkurse zu stabilisieren.

Die 90er Jahre: Asienkrise und Gründung von Attac

Die Finanzkrisen der 90er Jahre führten zum Wiederaufleben der Tobinsteuer-Diskussion und nicht zuletzt auch zur Gründung von Attac. 1997 riss eine gigantische Spekulationswelle Südostasien in die Krise. Der Chefredakteur der in acht Sprachen erscheinenden "Le Monde diplomatique", Ignacio Ramonet, publizierte einen Aufruf zur Kontrolle der Finanzmärkte. "Warum gründen wir nicht eine weltweite Organisation, die sich für die Einhebung einer Tobinsteuer zugunsten der Menschen einsetzt?" Aus dem französischen "Association pour une taxation des transactions financières pour l´aide aux citoyens" entstand das Kürzel Attac.

Mit der darauf eintreffenden Welle an Zustimmung hatte Ramonet nicht gerechnet: Attac Frankreich wurde am 3. Juni 1998 gegründet. Seitdem folgten in über 50 Ländern weitere Attac-Organisationen. Attac Österreich startete am 6. November 2000.

2000 bis 2006: Tobinsteuer und die Mühen der Ebene

Kleine politische Erfolge prägten die ersten Jahre des neuen Jahrtausends. Im November 2001 sprach sich Frankreich als erstes europäisches Land verbindlich für eine Tobinsteuer aus, allerdings nur für den Fall, dass sich weitere europäische Länder anschließen würden. Belgien folgte mit einem ähnlichen Beschluss am 1. Juli 2004.

Bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2004 legte die nach dem brasilianischen Präsidenten benannte Lula-Gruppe (Brasilien, Frankreich, Spanien, Chile und später auch Deutschland und Algerien) einen Bericht vor, der die Forderung nach der Tobinsteuer enthielt.

Nicht zuletzt aufgrund der jahrelangen Überzeugungsarbeit von Attac schlossen sich auch in Österreich immer mehr zivilgesellschaftliche Organisationen der Forderung an. Die Arbeit mündete am 23. Mai 2006 in einem vier-Parteienbeschluss im österreichischen Parlament. Darin wurde eine entsprechende verpflichtende EU-Richtlinie gefordert – zunächst jedoch mit wenig realpolitischem Widerhall.

Die Finanzkrise 2008: Neuer Schwung für eine umfassende Steuer

Im Zuge der weltweiten Finanzkrise ab 2007 gewann die politische Debatte zur FTS deutlich an Fahrt. Sie verschob sich dabei immer mehr weg von der Tobinsteuer hin zu einer breit angelegten FTS, die alle Arten von Finanztransaktionen umfasst.

Unter Beteiligung von Attac wurden auf globaler Ebene neue und immer größere zivilgesellschaftliche Allianzen geschmiedet, die etwa in gemeinsamen weltweiten Aktionstagen den politischen Druck erhöhten – vor allem auf die G20. Die USA, Großbritannien und der IWF zählen jedoch zu den erbittertsten Gegnern der Steuer - auf Ebene der G20 herrscht (bis heute) Stillstand.

Auch innerhalb der EU wurde die FTS-Debatte jahrelang von Blockaden und Ausreden dominiert. Allen voran der Finanzplatz London, aber auch die EU-Kommission standen dabei fest auf der Bremse. Der wachsenden grundsätzlichen Befürwortung der FTS folgte auf europäischer und nationaler Ebene stets der Hinweis, eine Einführung mache nur auf globaler Ebene Sinn (bei entsprechender Ausgestaltung der Steuer ein Scheinargument). Bereits im Dezember 2009 (!) sprach sich der Europäische Rat der Regierungschef*innen für eine FTS aus – allerdings nur bei weltweiter Einführung.

Einen wichtigen Schritt und bemerkenswerten Wechsel vollzog die deutsche Bundesregierung im Mai 2010, als Finanzminister Schäuble schließlich auch die Einführung nur auf europäischer Ebene forderte. Doch auch diese Pläne scheiterten am Widerstand Londons.

Die EU-Kommission forcierte 2010 anstelle der FTS zunächst eine „Finanzaktivitätssteuer“, welche nur die Gewinne und Gehaltszahlungen von Banken erfasst, aber keine Transaktionen – aus Attac-Sicht ein unbefriedigender und unzureichender Vorschlag.

Europäisches Wendejahr 2011 – starker Vorschlag der Kommission

Die erste europäische Institution, welche die Besteuerung von Finanztransaktionen in einem ersten Schritt auch nur auf EU-Ebene forderte, war das EU-Parlament (Beschluss: 8. März 2011, Vorarbeit 2010).

Im Sommer 2011 begann auch in der EU-Kommission ein Umdenkprozess. Am 28. September 2011 stellte Kommissionspräsident José Manuel Barroso schließlich einen Gesetzesentwurf zur Einführung einer FTS in der EU vor – angesichts der jahrelangen Blockade der Kommission ein wahrer Durchbruch. Der Steuersatz sollte dabei 0,1 Prozent auf den Handel von Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent für Derivate von Aktien und Anleihen betragen.

Der Kommissions-Vorschlag hatte eine große Stärke: Steuervermeidung sollte durch eine Kombination des Sitzland- und Ausgabeprinzips begrenzt werden. Das Sitzlandprinzip besagt, dass sämtliche Transaktionen, die innerhalb der betroffenen Staaten vollzogen wurden, besteuert werden. Die Anwendung des Ausgabeprinzips wiederum sorgt dafür, dass für die Besteuerung der Ausgabeort des Finanzproduktes herangezogen wird. Jedes in den elf Ländern ausgegebene Derivat kann so überall auf der Welt besteuert werden – egal wo es gehandelt wird. Ein Beispiel: Die Deutsche Bank oder ein deutscher Privatanleger, der ein Geschäft über die Börse in Hongkong abwickelt, hätte also trotzdem in Deutschland die Transaktionssteuer zahlen müssen, wenn er dort gemeldet ist. Es bliebe einzig nur die Verlagerung des kompletten Firmensitzes, was oft teurer wird als die Steuer. Diese Maßnahmen bewiesen, dass das Kapital an jeder Ecke der Welt fassbar ist, wenn der politische Wille dazu besteht.

Devisengeschäfte am Spotmarkt sowie andere Derivate sollen hingegen von der Steuer befreit sein - für Attac ein Wermutstropfen. Die Debatte erhielt aber dadurch auch auf Ebene der EU-Regierungschef*innen weiteren Auftrieb. Die Allianz der Gegner begann immer mehr zu bröckeln.

2012 – vorläufiger Durchbruch in Sparvariante

Im Jänner 2012 beschloss Frankreich die Einführung einer Schmalspur-FTS auf nationaler Ebene (umgesetzt im Sommer 2012). Im Frühjahr 2012 starteten neun EU-Länder einen neuen Vorstoß, eine FTS auf EU-Ebene einzuführen, scheiterten aber vor allem am Widerstand der beiden Nicht-Euro-Länder Großbritannien und Schweden. Die Alternative, die Steuer nur in der Eurozone einzuführen, scheiterte wiederum am Widerstand von Luxemburg und den Niederlanden und wurde im Juni 2012 aufgegeben.

Die verbleibenden EU-Länder einigten sich jedoch darauf, die FTS nur in den befürwortenden Ländern einzuführen: Am EU-Finanzministerrat in Luxemburg am 9. Oktober erfolgte die historische Einigung. Insgesamt elf EU-Länder (Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Österreich und Portugal) schlossen sich zusammen, um die Transaktionssteuer einzuführen. Bis Ende Oktober hatten zehn EU-Länder einen entsprechenden Antrag bei der EU-Kommission eingereicht.

2013 bis 2017 – die FTS lässt auf sich warten …

Am 22. Jänner 2013 gaben die EU-Finanzminister*innen den Auftrag, die Details dieser FTS auszuarbeiten. Eine Einführung wurde bereits mit Jänner 2014 ins Auge gefasst. Doch der Prozess verzögerte sich weiter und weiter  - die Einführung wurde mehrmals verschoben.

2015 übernahmen Österreich und Portugal die Koordination der Verhandlungen. Im Dezember 2015 gab es eine Einigung auf einige Eckpunkte, abseits dieser blieb nach wie vor vieles offen. So waren sich die Länder beispielsweise nicht einig, welche Derivate von der FTS ausgenommen werden sollen. Ebenfalls forderten einzelne Länder Ausnahmen für Pensionsfonds und für sogenannte „market makers“. Danach wurde für Juni und Dezember 2016 eine endgültige Einigung angekündigt - und wieder gab es keine substanziellen Fortschritte. Österreichs damaliger Finanzminister Hans Jörg Schelling präsentierte statt wirklicher Fortschritte nur die x-te angebliche Einigung ohne wirkliche Substanz.

Die Finanzlobbies kämpften weiter gegen die Steuer, um sie zu verhindern oder aufzuweichen. Immer deutlicher wurde, dass es die Finanzminister mit der Regulierung des Finanzsektors nicht ernst genug meinen – und die Interessen der Finanzindustrie wichtiger waren.

... und wird 2018 endgültig begraben

Das vorläufige Ende für die europäische FTS kam 2017/18. Auf Initiative von Frankreichs Präsident Macron (vom September 2017) wurde im Jahr 2018 ein gemeinsamer deutsch-französischer Vorschlag präsentiert. Er sah vor, statt der FTS in der gesamten EU eine reine „Aktiensteuer“ einzuführen - ein Geschenk an den französischen Bankensektor, aus dem Macron selbst kommt.

Das war zugleich der Ausstieg aus den bisherigen Vereinbarungen jener 10 EU-Länder, welche die Steuer bisher verhandelt hatten. Denn eine reine Aktiensteuer ist  keine Finanztransaktionssteuer, sondern ihr Ende. Nicht erfasst wären damit nämlich genau jene Finanzinstrumente, die der Spekulation dienen und die Wirtschaft destabilisieren - darunter Derivate und alle außerbörslichen Transaktionen. Damit würde auch die erhoffte Lenkungsfunktion der Steuer völlig entfallen. Die Aktiensteuer hilft nicht gegen den sekundenschnellen elektronischen Wertpapierhandel, und sie hilft nicht gegen die hochriskante Spekulation mit Derivaten und allem, was außerbörslich gehandelt wird.

Wofür Attac eintritt

In vielen europäischen Ländern ist laut Umfragen die Mehrheit der Menschen für die Finanztransaktionssteuer, in Österreich und Deutschland sind es rund zwei Drittel. Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen auf der ganzen Welt setzt sich Attac weiter dafür ein, dass die Finanztransaktionssteuer in der EU und auf globaler Ebene Realität wird - derzeit scheint der politische Prozess in der EU dazu aber tot.

Wir fordern für eine echte FTS - vor allem die flächendeckende Anwendung eines einheitlichen Steuersatzes (von etwa 0,1 Prozent) ohne Ausnahmen bei der Steuerbasis und mit starken Mechanismen gegen eine Umgehung der Steuer. Die Einnahmen sollen in erster Linie für internationale Armutsbekämpfung und Umweltschutz verwendet werden.

Das Schicksal der Finanztransaktionssteuer ist ein deutliches Beispiel für den fehlenden Willen der Regierungen bei der Regulierung des Finanzsektors seit der Krise 2008. Egal ob die Zerteilung systemrelevanter Banken, die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken, die Regulierung von Schattenbanken oder ein Verbot riskanter Finanzprodukte und Geschäftspraktiken – keine dieser Mindestanforderungen für eine strengere Regulierung des Finanzsektors wurde umgesetzt. Auch die Eigenkapitalanforderungen für Großbanken sind nach wie vor viel zu niedrig. Das Risiko einer schweren Finanzkrise ist noch immer groß. Und im Ernstfall müssen wieder wir die Kosten tragen.

Zuletzt aktualisiert: Oktober 2022

Finanztransaktionssteuer: 10 Fragen - 10 Antworten
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