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Bilanz über 20 Jahre Strukturanpassung in Lateinamerika und Osteuropa

ExpertInnen aus Peru und Ungarn und den USA üben herbe Kritik an Weltbank, Währungsfonds - und den USA

Ein prominentes Podium diskutierte Donnerstag Abend auf Einladung von ÖFSE, KOO, Lateinamerikainstitut und TRIALOG den "Erfolg" der Politik der Strukturanpassung in Lateinamerika und Osteuropa. Tenor: IWF und Weltbank seien an den Krisen in zahlreichen Ländern mitverantwortlich und bluteten ihre Patienten aus anstatt ihnen zu helfen. Sie sollten aus ihren Fehlern endlich lernen und für diese auch zur Rechenschaft gezogen werden.

Nancy Alexander, die Geschäftsführerin der Globalization Challenge Initiative (USA), kritisierte, dass zahlreiche arme Länder keine eigenständige Wirtschaftspolitik machen könnten, sondern diese von IWF und Weltbank aufgezwungen bekämen. Die Strukturanpassungsprogramme - Privatisierung, Liberalisierung, Sparprogramme - seien "wie Panzer gegen die Entwicklungsländer". Im Lichte des 11. September würden die USA den Terrorismus nicht nur mit "harter militärischer Macht" bekämpfen, sondern auch mit "weicher ökonomischer Macht", die als "Hilfe getarnt sei". Entgegen aller Beteuerungen würden IWF und Weltbank dafür instrumentalisiert: "Ein Kredit für Ekuador kurz nach dem 11. September ist erst geflossen, nachdem die ekuadorianische Regierung einer US-Militärbasis zugestimmt hat. Neuerdings wollten die USA in der Weltbank Kredite durch Zuschüsse ersetzen ("grants instead of loans"), damit die Bevölkerung sich die privatisierte Daseinsvorsorge (Bildung, Gesundheit, Wasser) bei multinationalen Versorgungsunternehmen leisten könne. Das käme laut Alexander einer direkten Subvention von Konzernen gleich. Wer die USA bei dieser Initiative nicht unterstütze (wie beispielsweise die EU), würde - mit dem 11.-September-Hebel - als Gegner betrachtet. Die europäische Öffentlichkeit hätte von dieser "private sector development strategy" der Weltbank noch nichts mitbekommen, die die USA beim informellen G7-Treffen am 9. Februar durchpushen wollten.

Oscar Ugarteche, Wirtschaftsforscher, Regierungsberater und Korruptionsexperte in Peru, kritisierte die neoliberale Strukturanpassung in Lateinamerika. Das versprochene "Wirtschaftswunder" sei nicht eingetreten, das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommenswachstum von 1,4 Prozent in den 90ern (nach den Reformen) sei nur halb so hoch aus wie in der von neoliberalen Ökonomen verteufelten Phase zwischen 1950 und 1975 ("konstante 2,5 Prozent pro Jahr"). Die von IWF und Weltbank geforderten Privatisierungen brächten wichtige Versorgungsunternehmen in ausländische Hand, die dafür oft nicht einmal Steuern bezahlten. Im Falle Perus brachten die Privatisierungen 6,9 Milliarden Dollar ein, die in Fonds angelegt werden hätten sollen, um aus dem Zinserlös Sozialleistungen zu finanzieren. Die Regierung habe jedoch diese Fonds geplündert - "bis auf 123 Millionen Dollar " - und das "geraubte" Geld teils für Waffenkäufe oder Vermittlungsprovisionen verwendet. Der Währungsfonds, der sich so sehr Korruptionsbekämpfung auf die Fahnen schreibe, habe dabei zugesehen und kein Wörtchen gesagt. Nicht minder sei das Schweigen der Washingtoner Ökonomen, wenn die Konzerne keine Steuern bezahlten, obwohl ein ausgeglichenes Budget zu den Kernbedingungen der Strukturanpassung zähle: "Jeder Straßenkehrer muss Steuern zahlen, nur die Großkonzerne nicht", so Ugarteche.

József Feiler, Politischer Direktor des Bankwatch-Network (eine NGO mit Sitz in Ungarn, die das Engagement von IWF und Weltbank in Osteuropa verfolgt) berichtete, dass nach dem Fall der realsozialistischen Regime der Kapitalismus "nach dem Schulbuch" durchgepusht werde, obwohl die Bevölkerungen gar nicht dafür bereit sei und die Transition als "Schock erlebe. Kritik am neuen ökonomischen System sei genauso wenig erlaubt wie am alten.

Feiler unterteilte die Transitionsökonomien in drei Gruppen: Erstens die "Globalisierungsgewinner" nahe der österreichischen Grenze, die aber nur scheinbar Gewinner seien. So gingen etwa 67 Prozent der ungarischen Exporte auf ausländische Konzerne zurück, das sei weltweit der höchste Wert (an 2. Stelle rangiere Singapur mit 65 Prozent). Wenn nun dasselbe wie in Argentinien passierte, würden sich die Multis verabschieden und aus wäre es mit dem Wirtschaftswunder.

Als zweite Gruppe nannte er Länder wie Rumänien und Bulgarien, die zwar dem Globalisierungszug hinterherliefen, aber tatsächlich in Richtung 3. Welt zurückfielen. Die dritte Gruppe seien schließlich die "vergessenen Ökonomien " wie Russland und alle anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion (mit Ausnahme der baltischen Staaten), deren Pro-Kopf-BIP oft weniger als 500 Dollar pro Jahr ausmache. Die Wirtschaft Russlands sei seit dem Regimewechsel um 90% geschrumpft, die Industrien kollabiert. Die gesamte Region hänge am Faden der Rohstoffexporte, die aber einerseits die Umwelt zugrunde richteten und andererseits extrem volatilen Preisen ausgesetzt seien. Das einst gute Bildungssystem verschlechtere sich kontinuierlich, der Analphabetismus sei im Vormarsch. Mittelklasse gäbe es keine, die Armut nehme in ganz Osteuropa zu. Gleichzeitig schrumpfe die Bevölkerung ausnahmslos in allen osteuropäischen Ländern als Folge des allgemeinen Stresses und der Erosion der Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsysteme. Alkoholismus und Drogenkonsum nähmen zu. Als Hauptakteure nannte Pfeiler die Weltbank und Währungsfonds, die die Richtung der ökonomischen Transformation vorgäben.

Unter den Lösungsvorschlägen fanden sich ein internationales Schiedsverfahren zur Entschuldung ebenso wie die Beteiligung aller Betroffenen bei Kreditverhandlungen sowie die "Möglichkeit von Entwicklungsländern, Nein zu sagen" - etwa, wenn die Weltbank die Privatisierung der Wasserversorgung, des Bildungs- oder Gesundheitswesens fordere.

Ugarteche meinte, dass bisher nur Minister, Regierungen und Präsidenten in den armen Ländern zurücktreten müssten, nicht aber die Ökonomen bei IWF und Weltbank. Er forderte eine strenge Rechenschaftspflicht der internationalen Finanzinstitutionen vor den betreffenden Parlamenten.

Die Demokratisierung der Bretton Woods-Zwillinge dürfe sich nicht in formeller Partizipation erschöpfen, meinte Alexander, "denn was nützt es, wenn ich partizipiere, du partizipierst, er partizipiert, wir partizipieren und SIE entscheiden?" Ebenso wurde die "disclosure policy", das Bemühen der Weltbank um mehr Transparenz, kritisiert. Zwar würden mehr Berichte als früher veröffentlich, aber erst nachdem im stillen Kämmerlein getagt und entschieden worden sei. Wichtig sei aber die Veröffentlichung der Entwürfe, um auf die Kreditverhandlungen Einfluss nehmen zu können, so Alexander.