Eine kleine Gruppe von internationalen Anwaltskanzleien, Schiedsrichtern und Spekulanten schürt weltweit eine Welle internationaler Investitions-Schiedsverfahren. Diese kosten Steuerzahler Milliarden und verhindern Gesetze zum Schutz des Allgemeinwohls, so eine neue Studie des Transnational Institute und des Corporate Europe Observatory.
Profiting from Injustice (“Profit aus Un-Recht”) deckt eine florierende Rechtsbranche auf, die auf Kosten von Steuerzahlern, Umweltschutz und Menschenrechten die Interessen multinationaler Konzerne vertritt. Anwaltskanzleien und Schiedsrichter, die mit Investitionsklagen gegen Regierungen Millionen verdienen, treiben aktiv die Zahl der Klagen in die Höhe [1] und lobbyieren gegen Reformen im öffentlichen Interesse.
Zu den laufenden Klagen von Investoren gegen Staaten gehören die des Tabakkonzerns Philip Morris gegen Uruguay und Australien wegen Gesundheitswarnungen auf Zigarettenschachteln sowie die US$3,7 Milliarden-Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg.
“Die internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist weder gerecht noch unabhängig. Regierungen sind die Hände gebunden, während Multis von einem Rechtssystem profitieren, das einseitig an den Interessen von Investoren ausgerichtet ist. Eine Handvoll Kanzleien ermuntert Konzerne emsig, Regierungen zu verklagen. Und die Top-Schiedsrichter missbrauchen ihren Einfluss, um den Weg für weitere millionenschwere Prozesse zu ebnen”, sagt Cecilia Olivet vom Transnational Institute, Mitautorin der Studie.
Karin Küblböck von Attac Österreich erklärt dazu: „Investitionsabkommen hebeln die Demokratie aus. Der politische Gestaltungsspielraum wird dadurch massiv eingeschränkt. Sie sind eine Gefahr für jede ökologische und soziale Politik.“
Die 76 Seiten lange Studie beschreibt die jüngste Hochkonjunktur der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, die ursprünglich für Fälle von direkter Enteignung gedacht war. Im Jahr 2011 gab es 450 bekannte Investor-Staat-Klagen, gegenüber 38 im Jahr 1996.[2] Anwalts- und Prozesskosten betragen im Durchschnitt mehr als 8 Millionen Dollar pro Streitfall, in manchen Fällen bei über 30 Millionen Dollar.[3]
Die Branche wird von einer kleinen Gruppe von Anwaltskanzleien [4] und führenden Schiedsrichtern [5] aus dem Norden beherrscht. Drei Kanzleien – Freshfields (GB), White & Case (US) und King & Spalding (US) – geben an, alleine 2011 an 130 Investor-Staat-Klagen beteiligt gewesen zu sein. Fünfzehn Schiedsrichter – die „innere Mafia“ – haben 55% aller bekannten Klagen entschieden.
Viele Schiedsrichter fungieren parallel als Anwälte der Streitparteien und arbeiten an Hochschulen, für Regierungen, als Lobbyisten und Medien-Kommentatoren. Manche haben enge persönliche und wirtschaftliche Verbindungen zu Unternehmen. Sie haben einen enormen Einfluss auf das Rechtssystem, an dessen Erhalt sie ein wirtschaftliches Eigeninteresse haben.[6]
Die Studie stellt auch einen neuen Akteur in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vor: Prozessfinanzierer. Investmentfonds wie Burford (US) und Juridicia (GB) spekulieren zunehmend mit Prozessen, indem sie Investor-Staat-Klagen finanzieren und dann 20 bis 50 Prozent der am Ende zuerkannten Entschädigungssumme einstreichen. [7]
Einige Regierungen wenden sich bereits von der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit ab. Australien verhandelt keine entsprechenden Klauseln mehr in seinen Handelsabkommen. Bolivien, Ecuador und Venezuela haben mehrere Investitionsschutzabkommen aufgekündigt. Südafrika will weder neue Verträge unterzeichnen, noch bestehende verlängern.
„Das in-die-eigene-Tasche-Wirtschaften von Kanzleien und Schiedsrichtern entlarvt die Ungerechtigkeit des internationalen Investitionsrechts. Regierungen sollten entweder keine Investitionsschutzabkommen unterzeichnen oder keine Klauseln akzeptieren, mit denen Investoren sie direkt vor internationale Schiedsgerichte zerren können. Zumindest sollten Regierungen sicherstellen, dass Gesetze zum Schutz des Allgemeinwohls nicht vor solchen Schiedsgerichten angegriffen werden können“, sagt Pia Eberhardt von Corporate Europe Observatory, Mitautorin der Studie.
Deutschsprachige Zusammenfassung der Studie (3 Seiten: Profit durch Un-Recht
Wie Anwaltskanzleien, Schiedsrichter und Spekulanten Investoren-Klagen gegen Staaten schüren
www.attac.at/uploads/media/exec_summary-DE.pdf
Langfassung: Profiting from Injustice
www.tni.org/sites/www.tni.org/files/download/profitingfrominjustice_0.pdf
Kontaktpersonen für weitere Informationen, eine Kopie der Studie und Interviews:
Pia Eberhardt [en, de], in Deutschland, +49 221 789 67810, +49 152 56309102, pia@corporateeurope.org
Amy Barry [en], in Großbritannien, +44 7980 663297, amy@amybarry.net
Cecilia Olivet [en, es], auf den Philippinen, +63 9174690163, ceciliaolivet@tni.org
Nick Buxton [en], in den USA, +15309023772, nick@tni.org
Notizen:
[1] Mitten in der gegenwärtigen Schuldenkrise in Griechenland haben Anwaltskanzleien Unternehmen ermuntert, Investitionsschiedsverfahren gegen Griechenland einzuleiten. Die Kanzlei K & L Gates schlug ihren Mandanten vor, die Androhung einer Klage als Druckmittel bei Verhandlungen über die Umschuldung einzusetzen. Während des Bürgerkriegs in Libyen legten Kanzleien wie Freshfields ihren Mandanten nahe, Libyen auf Basis von Investitionsschutzabkommen zu verklagen. Die neue Regierung muss vielleicht bald Firmen entschädigen, die einst die Diktatur unterstützt haben. (Siehe Kapitel 3)
[2] Bis Ende 2011 waren der UN Organisation für Handel und Entwicklung UNCTAD 450 Investor-Staat-Klagen bekannt. Da die meisten Schiedsgerichtsgremien der Vertraulichkeit unterliegen, ist die tatsächliche Anzahl an Klagen vermutlich größer. 1996 waren nur 38 Investor-Staat-Klagen beim Weltbank Schiedsgericht ICSID registriert, das vermutlich die meisten Klagen verwaltet. (Siehe Kapitel 2)
[3] In den Jahren 2009 und 2010 verlangten Konzerne in 151 Fällen eine Entschädigung von mindestens US$100 Millionen. Ein Land ist gerade zu einer Entschädigungszahlung von US$1,7 Milliarden verklagt worden. (Siehe Kapitel 2 und 3)
[4] Führende 20 Kanzleien: Freshfields Brukhaus Deringer (GB); White & Case (USA); King & Spalding (USA); Curtis Mallet-Prevost, Colt & Mosle (USA); Sidley Austin (USA); Arnold & Porter (USA); Crowell & Moring (USA); K&L Gates (USA); Shearman & Sterling (USA); DLA Piper (USA); Chadbourne & Parke (USA); Cleary Gottlieb Steen & Hamilton (USA); Appleton & Associates (Kanada); Foley Hoag (USA); Latham & Watkins (USA); Hogan Lovells (USA / GB); Clyde & Co (GB); Norton Rose (GB); Salans (Frankreich); Debevoise & Plimpton (USA) (Siehe Kapitel 3)
[5] Führende 15 Investitionsschiedsrichter: Brigitte Stern (Frankreich); Charles Brower (USA); Franciso Orrego Vicuña (Chile); Marc Lalonde (Kanada); L. Yves Fortier (Kanada); Gabrielle Kaufmann-Kohler (Schweiz); Albert Jan van den Berg (Niederlande); Karl-Heinz Bocksteigel (Deutschland); Bernard Hanotiau (Belgien); Jan Paulsson (Frankreich); Stephen M. Schwebel (USA); Henri Alvarez (Kanada); Emmanuel Gaillard (Frankreich); William W. Park (USA); Daniel Price (USA) (Siehe Kapitel 4)
[6] Daniel Price hat beispielsweise sowohl für die US-Regierung gearbeitet, als auch als Anwalt für Investitionsschutz und als Schiedsrichter. Er hat von Investitionsschutzabkommen profitiert, die er selbst mit verhandelt hat. Als stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung des US Außenhandelsbevollmächtigten hat Price das Investitionskapitel des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA und das bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen den USA und Russland verhandelt. Als Russland über US$103 Milliarden verklagt wurde, der bisher höchsten bekannten Schadensersatzforderung, haben die Kläger Price zum Schiedsrichter ernannt. (Siehe Kapitel 4)
[7] Prominente Prozessfinanzierer von Investitionsschiedsverfahren: Burford Capital (USA); Juridica Investment Ltd (GB); Omni Bridgeway (Niederlande); Fulbrook Management (USA); Calunius Capital (GB) (Siehe Kapitel 5)