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Internationale Kritik an Österreichs Pharmalobby: "Zynisch und eurozentrisch"

Südafrikanische Menschenrechtsaktivistin: „Patentfreigabe dringend nötig, um die Macht der Pharmaindustrie über unser Leben zu brechen.“

Die südafrikanische Menschenrechtsaktivistin sowie Gründerin der Health Justice Initiative in Südafrika, Fatima Hassan (1), übt heftige Kritik an den Aussagen des Chefs der österreichischen Pharmalobby, Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog. Dieser wird in einer Aussendung, welche die tödlichen Folgen exklusiver Impfstoff-Patentrechte leugnet, wie folgt zitiert: „Denn was nützen noch mehr Impfdosen, wenn die Menschen sich weigern, diese anzunehmen?“

Hassan erklärt dazu: „Die Aussagen der österreichischen Pharmalobby sind zutiefst zynisch und eurozentrisch. In vielen Ländern des globalen Südens hatten mehr als 90 Prozent der Menschen gar nicht die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Auch in Südafrika gibt es schlicht nicht genug Impfstoff-Dosen für die Bevölkerung. Stattdessen sind wir von Wohltätigkeitszusagen aus dem globalen Norden abhängig, die ohnehin nicht eingehalten werden. Die Patentfreigabe ist dringend nötig, um die Macht der Pharmaindustrie über unser Leben zu brechen.“

Eine rasche Patentfreigabe (TRIPS-Waiver) würde ermöglichen, die Produktion lebenswichtiger Covid-19-Impfstoffe, Medikamente und medizinischer Ausrüstung rasch auszubauen. (2) Denn zahlreiche Impfstoff-Hersteller weltweit könnten produzieren, erhalten aber keine Lizenzen – und das, obwohl die Pharmaindustrie gerade in diesen Ländern immer wieder klinischen Studien an Menschen durchführt.

Pharmalobby mit besten Kontakten zur ÖVP

Seit über einem Jahr blockiert das von der ÖVP geführte Wirtschaftsministerium den Antrag von über 100 Staaten auf Patentfreigabe - so auch bei der heute zu Ende gehenden Tagung des TRIPS-Rats* der Welthandelsorganisation WTO. Für Attac ist dies wenig erstaunlich, besitzt die Pharmalobby doch beste Kontakte zur ÖVP. Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog war selbst über 10 Jahre lang ÖVP-Parteifunktionär. „Täglich sterben unnötig Menschen, weil zu wenig Impfstoffe produziert werden können. Doch dem Wirtschaftsministerium sind die Pharmaprofite anscheinend wichtiger als Menschenleben“, kritisiert Iris Frey von Attac Österreich.

Mückstein muss gesundheitspolitischer Verantwortung nachkommen

"Aus gesundheitspolitischer Sicht ist es die Verantwortung von Gesundheitsminister Mückstein dafür einzutreten, dass Österreich eine gerechte globale Impfstoffverteilung und -produktion nicht weiter blockiert – zumal sich auch die Weltgesundheitsorganisation WHO offen für die Patentfreigabe ausgesprochen hat", erklärt Frey. "Solange global ständig neue Mutationen entstehen, ist kein rasches Ende der Pandemie in Sicht."

Ausführliche Argumente, wie der TRIPS-Waiver wesentliche Hindernisse zur Pandemiebekämpfung aus dem Weg räumt, finden Sie in diesem Briefing.

Argumente der Pharmaloby entkräften

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(1) Fatima Hassan ist Menschenrechtsaktivistin sowie Gründerin und Leiterin der Health Justice Initiative in Südafrika. Sie Expertin zum Thema Zugang zu Medikamenten für HIV, AIDS und Covid-19 und arbeitete als Referentin am südafrikanischen Verfassungsgericht und als Sonderberaterin der südafrikanischen Ministerin für Gesundheit.

(2) Länder wie Indien und China produzieren seit Jahrzehnten einen Großteil unserer Medikamente und exportieren sie. Auch Impfstoffe werden in Ländern des Globalen Südens hergestellt. Das Serum Institut in Indien ist der größte Impfstoffhersteller weltweit. Das Developing Countries Vaccine Manufacturers Network (DCVMN) hat 41 Mitglieder in 14 Ländern und produziert zahlreiche Impfstoffe. Auch die komplexere mRNA-Technologie kann in Ländern des Globalen Südens produziert werden, wie das indische Pharmaunternehmen Gennova zeigt. Im August 2021 begann es klinische Tests zu einem gemeinsam mit dem US-Unternehmen HDT Biotech entwickelten mRNA-Impfstoff. Außerdem haben 19 Impfstoffproduzenten in über 12 Ländern aus Asien, Lateinamerika und Afrika ihr Interesse bekundet, mRNA Impfungen herzustellen. Zudem haben bereits mehrere Unternehmen angeboten, die bereits zugelassenen Covid-Impfstoffe zu produzieren. Darunter war zum Beispiel die Firma Incepta in Bangladesch, die angab, bis zu 800 Millionen Impfdosen im Jahr produzieren zu können. Diese Unternehmen bekamen jedoch keine freiwilligen Lizenzen von den Pharmamultis. Solche „freiwilligen Lizenzen“ sind also keine Lösung, da die Firmen sie nur hergeben, wenn sie sich ausreichend Profite erwarten.