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Irland-„Rettung“: 67,5 Mrd. Hilfskredite, 89,5 Mrd. für die Banken

Attac-Recherche zeigt: Geldflüsse aus Irland in den Finanzsektor übersteigen Hilfskredite deutlich / EU-Krisenpolitik blutet Bevölkerung und Wirtschaft aus, um Milliarden ins Bankensystem zu schleusen

Am 15. Dezember beendete Irland als erstes Land das „Rettungs“-Programm der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Während die politischen Eliten Europas den Inselstaat als Erfolgsgeschichte verkaufen, hat Attac nachgerechnet: Den 67,5 Milliarden Euro an Hilfsgeldern, die Irland seit Ende 2010 erhielt, stehen 89,5 Milliarden Euro gegenüber, die im selben Zeitraum aus dem Land in den Finanzsektor flossen.

Die Ergebnisse im Detail:

  • 18,1 Milliarden flossen in die Rekapitalisierung irischer Banken.
  • 55,8 Milliarden kamen GläubigerInnen des irischen Staats zugute. Davon wurden 37,5 Milliarden für auslaufende Staatsanleihen und 18,3 Milliarden für Zinsen laufender Anleihen bezahlt.
  • 1,6 Milliarden verwendete die National Asset Management Agency (NAMA), die vom Staat garantierte Bad Bank, um Banken faule Immobilienpapiere abzukaufen.
  • 14 Milliarden kostete den Staat bisher die Abwicklung der Irish Bank Resolution Corporation (IBRC), einer Fusion zweier verstaatlichter Pleitebanken. Davon fielen 12,9 Milliarden bei NAMA an, die die verbleibenden IBRC-Anlagen aufkaufte. Weitere 1,1 Milliarden gingen als Folge einer staatlichen Garantie an GläubigerInnen der Bank.

„Irland hat während seiner angeblichen Rettung mehr Geld in den Finanzsektor gesteckt, als es an Hilfskrediten erhalten hat“, fasst Lisa Mittendrein von Attac Österreich die Ergebnisse zusammen, „bezahlt hat dafür die irische Bevölkerung, die ausgepresst wird, um den europäischen Bankensektor am Leben zu erhalten.“

Troika verschärft falschen Kurs der irischen Regierung
Der irischen Bevölkerung wurde im Vorfeld des „Rettungs“-Programms die mit Abstand größte nationale Bankenrettung der gesamten Eurozone aufgebürdet. 76,5 Milliarden Euro öffentlicher Mittel flossen zwischen 2008 und 2010 direkt oder indirekt in die irischen Finanzinstitute (1). „Die irische Regierung hat eine Politik der uneingeschränkten Bankenrettungen verfolgt – und die Troika hat diesen Kurs weiter verschärft“, kritisiert Mittendrein.

EZB erpresst Irland, Hedgefonds auszuzahlen

Der Einfluss der Troika zeigt sich auch in Details der irischen Krisenpolitik: Die verstaatlichten irischen Banken müssen sogar jene GläubigerInnen zur Gänze auszahlen, die nicht von der staatlichen Garantie erfasst sind. Wie ein Gutachten für das Europäische Parlament festhält, zwang die EZB die irische Regierung zu diesem Schritt. Als Druckmittel drohte die Zentralbank damit, Notkredite für irische Banken zu verteuern oder gänzlich zu streichen. Sie tat das, obwohl es im „Rettungs“-Programm keine Auflagen zur Rückzahlung ungarantierter Bankschulden gibt und der IWF sich für eine Kostenbeteiligung der GläubigerInnen ausgesprochen hatte. Die EZB schützt damit zu einem großen Teil hochspekulative AkteurInnen wie Hedgefonds. Sie hatten den irischen Banken zu einem Zeitpunkt Geld geliehen, als bereits klar war, dass diese kurz vor dem Zusammenbruch oder der Notverstaatlichung standen. (2) Das Gutachten kommt zum Schluss, dass die EZB damit möglicherweise ihr Mandat überschritten hat und empfiehlt, sie in Zukunft nicht mehr in eine Troika aufzunehmen. (3) „Die EZB sorgt mit erpresserischen Methoden dafür, dass nach fünf Jahren Bankenrettung weitere 16 Milliarden öffentlicher Mittel an SpekulantInnen fließen, die nicht ausbezahlt werden müssten“, kommentiert Mittendrein. (4)

Auch österreichische Banken gerettet

Wer die geretteten GläubigerInnen sind, wird von den politischen Eliten geheim gehalten. Eine vom Ex-Broker und Blogger Paul Staines geleakte, unvollständige Liste der GläubigerInnen von Anglo Irish, der größten irischen Pleitebank, umfasst internationale Großbanken wie Allianz, Barclays, Crédit Suisse, Deutsche Bank, Goldman Sachs, HSBC oder Société Générale. Auch Töchter österreichischer Banken wie Erste und Raiffeisen gehörten laut Staines zu den ProfiteurInnen. (5) Im Oktober 2013 kommentierte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble die Lage mit: „Irland hat getan, was Irland tun musste … und jetzt ist alles gut.“ (6) Diese Haltung kritisiert Lisa Mittendrein scharf: „Gut ist lediglich die Lage der europäischen Finanzeliten. Gerettet wurde das Who is Who des Bankensystems, nicht die Menschen in Irland. Von einer Erfolgsgeschichte kann keine Rede sein.“

Staatlicher Pensionsfonds geplündert

Tatsächlich bezahlt die Bevölkerung die mehrfache Rettung des Finanzsektors mit einer brutalen Kürzungspolitik. So musste Irland seine eigene „Rettung“ mit 17,5 Milliarden mitfinanzieren. Davon kamen 10 Milliarden aus dem staatlichen Pensionsfonds NPRF, der irische Pensionen in der Zukunft absichern sollte. Die Gelder aus dem Pensionsfonds wurden für Bankenrekapitalisierungen verwendet (7). Ende 2013 entschied die Regierung, ihn vollständig in einen Investmentfonds umzuwandeln. (8). Zahlreiche weitere Austeritätsmaßnahmen trafen die Bevölkerung hart: Die Mehrwertsteuer wurde auf 23 Prozent erhöht, das Kindergeld gekürzt, das Arbeitslosengeld für Jugendliche halbiert (9). Die Studiengebühren stiegen um das Dreifache auf 2.500 Euro (10). Insgesamt wurden der irischen Gesellschaft seit 2008 mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen 28 Milliarden Euro entzogen (11).

Höchste Auswanderungsrate in der EU

Die sozialen Folgen der Krisenpolitik sind desaströs: Knapp ein Drittel der irischen Bevölkerung ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht (12), ein Zehntel leidet unter Hunger (13). Während das verfügbare Einkommen des einkommensschwächsten Zehntels der Bevölkerung innerhalb eines Jahrs um 26 Prozent fiel, stieg jenes des Zehntels mit den höchsten Einkommen um 8 Prozent: Die Stoßrichtung der Krisenpolitik ist eindeutig (14). Inzwischen denkt die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen darüber nach, den Inselstaat zu verlassen. Bereits 300.000 Menschen sind in den letzten vier Jahren emigriert. (15). Irland erlebte 2012 die höchste Netto-Auswanderung der gesamten EU. Nur sechs Jahre zuvor hatte es noch die höchste Netto-Zuwanderung verzeichnen können (16).

Staatsschulden steigen weiter

Auch die irische Wirtschaft hat sich als Folge der Kürzungspolitik keinesfalls erholt: Das Bruttoinlandsprodukt ist heute um 12,6 Prozent niedriger als vor der Krise (17). Die Arbeitslosigkeit ist mit 13 Prozent nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie vor der Krise, unter Jugendlichen beträgt sie sogar 27 Prozent (18). Der Bankensektor erfüllt seine Kernaufgabe, die Versorgung der Realwirtschaft mit günstigen Krediten, weiterhin nur schlecht: Die Hälfte der Klein- und Mittelbetriebe, die sich im letzten Quartal um einen Kredit bemühten, wurden von den Banken abgewiesen (19). Die Staatsschulden, die als Folge der Bankenrettungen zwischen 2007 und 2010 von 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 91 Prozent explodiert waren (20), stiegen unter Troika-Kontrolle weiter und erreichen 2013 laut aktueller Prognose 124 Prozent (21).

Irland-Rettung ist in Wahrheit Reichen-Rettung

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Krisenpolitik der politischen Eliten vor allem darauf abzielt, den europäischen Finanzsektor und die dahinterstehenden Vermögen der Reichsten zu retten“, bilanziert Mittendrein, „dafür opfern sie den Wohlstand ganzer Gesellschaften und nehmen enorme Arbeitslosigkeit, Armut und Not in Kauf.“ Nachdem Europas Banken seit 2008 bereits 670 Milliarden Euro an direkter staatlicher Hilfe erhalten haben (22), fließen nun über den Umweg von Staaten wie Irland oder Griechenland weitere hunderte Milliarden öffentlicher Mittel in den Finanzsektor. Dass nicht die irische Bevölkerung, sondern europäische Finanzeliten gerettet wurden, bestätigt Andy Storey, Soziologe und Ökonom am University College Dublin und Aktivist von Attac Irland: „Das Geld, das europäische SteuerzahlerInnen Irland geliehen haben, wurde großteils für die Rückzahlung sozialisierter Privatschulden verwendet. Diese hätte die Öffentlichkeit nie übernehmen dürfen, ob in Irland oder anderswo in Europa. Illegitime Schulden sind der Kern dieser Krise.“

Krisenpolitik braucht radikalen Kurswechsel…

In der europäischen Krisenpolitik ist ein radikaler Kurswechsel überfällig. „Die Politik muss aufhören, mit Unsummen öffentlicher Mittel einen Finanzsektor zu retten, der nicht zu retten ist“, fordert Mittendrein. Stattdessen sei eine strenge Regulierung notwendig: Zu große und damit „systemrelevante“ Banken müssen geteilt werden, um nicht länger ganze Gesellschaften in Geiselhaft nehmen zu können. Mittelfristig muss der gesamte Bankensektor auf seine Kernaufgabe – das Einlagen- und Kreditgeschäft – zurückgeführt  und die Profit- durch Gemeinwohlorientierung ersetzt werden. Die brutale Kürzungspolitik, die Sozial- und Gesundheitssysteme zerstört und in Irland und Europa hunderte Millionen Menschen in Armut stürzt, muss ein Ende haben. Stattdessen braucht es europäische Investitionsprogramme und eine europäisch koordinierte Steuer- und Wirtschaftspolitik im Interesse der breiten Bevölkerung. An den bereits entstandenen Krisenlasten müssen GläubigerInnen und Vermögende mit Schuldenerlassen und europaweit koordinierten hohen Vermögenssteuern beteiligt werden. „Die Kosten der Krise müssen endlich von jenen beglichen werden, die sie verursacht haben“, sagt Mittendrein.

…und endgültiges Aus für den Wettbewerbspakt

Unmittelbar muss jedoch die geplante Verschärfung des gescheiterten bisherigen Kurses verhindert werden. Klaus Regling, Vorsitzender der Rettungsschirme EFSF und ESM, bezeichnete das Ende des irischen „Rettungs“-Programms als „riesigen Erfolg für Irland und die gesamte Eurozone“ und als Beleg für den Erfolg der bisherigen Krisenpolitik (23). Tatsächlich planen die politischen Eliten den Beschluss des Wettbewerbspakts, der das irische Modell auf die gesamte EU ausdehnen soll: Alle Staaten sollen sich vertraglich verpflichten, neoliberale Maßnahmen wie den Abbau von Arbeitsrechten, Lohnsenkungen oder Privatisierungen durchzusetzen. Die EU-Kommission soll deren Umsetzung kontrollieren und mit Prämien bzw. Strafzahlungen durchsetzen können. „Der geplante Wettbewerbspakt bedeutet ‚Troika für alle‘“, fasst Lisa Mittendrein zusammen, „nach breiten europäischen Protesten wurde sein Beschluss von Mitte Dezember auf Juni 2014 verschoben. Diesen Verarmungspakt gilt es endgültig zu stoppen, um eine Trendwende in der europäischen Krisenpolitik einzuleiten.“

Für Rückfragen und Interviewanfragen stehen zur Verfügung:

In Österreich:
Lisa Mittendrein, Koordinatorin der Recherche, Vorstandsmitglied Attac Österreich
+43 664 21 21 680
lisa.mittendrein@attac.at

In Irland:
Andy Storey, Attac Irland, Dozent für Politik und internationale Beziehungen, University College Dublin
+ 353 8765 43 872
andy.storey@ucd.ie