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Klima-Klage gegen Österreich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Energiecharta-Vertrag verstößt gegen Europäische Menschenrechtskonvention

Fünf junge Menschen, die unmittelbar von der Klimakrise betroffen sind, bringen heute, 21. Juni, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Klage gegen die österreichische und elf weitere europäische Regierungen ein. (1) Grund der Klage ist der Schutz fossiler Brennstoffe durch den Energiecharta-Vertrag (ECT). Dieser zwischenstaatliche Vertrag gibt fossilen Konzernen die Macht, Staaten mittels einer Paralleljustiz auf Milliarden zu verklagen, wenn neue Gesetze zum Klimaschutz ihre Profite bedrohen. (2) Der Vertrag verzögert und verteuert somit die Energiewende und behindert die Regierungen dabei, ihre Klimaverpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens zu erfüllen.

Unvereinbar mit internationalen Klimaverpflichtungen

Die Pariser Anwältin Clémentine Baldon vertritt die jungen Kläger*innen: „Mit dem Energiecharta-Vertrag ermöglichen die beklagten Regierungen ihren Unternehmen legitime Klimaschutzmaßnahmen anderer Staaten anzufechten. Dies ist unvereinbar mit internationalen Klimaverpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens und verstößt gegen die Verpflichtungen der Europäischen Menschenrechtskonvention.“
Iris Frey von Attac Österreich sagt: „Die heutige Klage war überfällig. Sie ist die erste, die den Klimakiller Energiecharta-Vertrag mit den dramatischen Folgen für die Klimaopfer in Verbindung bringt.“

Abschreckende Wirkung auf die Klimapolitik

Neben der UNO, dem EU-Parlament und zahlreichen Expert*innen warnt auch der jüngste Bericht des Weltklimarates IPCC davor, dass die im ECT enthaltene Paralleljustiz für Konzerne schon alleine durch mögliche Klagen eine abschreckende Wirkung auf die Klimapolitik hat ("regulatory chill"). Sollte die heutige Klage vor dem EGMR erfolgreich sein, könnte der Gerichtshof erklären, dass die Staaten Hindernisse für mehr Klimaschutz - wie eben den ECT - beseitigen müssen.

Attac fordert Ausstieg aus dem Vertrag

Attac fordert - gemeinsam mehr als 1 Millionen Europäer*innen, hunderten internationalen Organisationen und mehr als 200 Klima-Expert*innen - seit vielen Monaten den Ausstieg Österreichs und der EU-Staaten aus dem ECT. Seit 2019 laufen zwar internationale Verhandlungen, um den Vertrag in Einklang mit den Pariser Klimazielen zu bringen - doch ohne Aussicht auf Erfolg. (3) Die Verhandlungen sollen bereits diese Woche, am 24. Juni 2022, endgültig abgeschlossen werden.

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Hintergrund:

Der Energiecharta-Vertrag ist ein internationales Investitionsabkommen aus den 1990er Jahren für 52 Länder, die sich von Westeuropa über Zentralasien bis Japan erstrecken, sowie für die EU und die EURATOM. Im Rahmen des ECT können ausländische Investoren die Vertragsstaaten verklagen, wenn sie der Meinung sind, dass diese Entscheidungen getroffen haben, die ihren Interessen schaden. Diese Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) werden in der Regel vor privaten Schiedsgerichten ausgetragen, die sich aus von den Parteien beauftragten Anwälten zusammensetzen. Der ECT ist jenes Abkommen, auf dessen Basis bisher die meisten Klagen ausländischer Investoren gegen Staaten geführt wurden. Allein in Europa deckt der Vertrag fossile Infrastrukturen im Wert von 344,6 Milliarden Euro ab.

 

Internationale Webseite mit weiteren Informationen zur Klage

 

(1) Die Kläger*innen stammen von der Karibikinsel Saint Martin, aus Belgien, Deutschland, Griechenland und der Schweiz. Sie klagen mit Unterstützung des französischen Veblén Instituts Österreich, Belgien, Zypern, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Luxemburg, die Niederlande, Schweden, die Schweiz und Großbritannien. Alle diese Staaten sind Heimatländer von Investoren, die den Energiecharta-Vertrag nutzen, um andere Staaten aufgrund von Klimaschutzmaßnahmen oder aufgrund von Maßnahmen im öffentlichen Interesse vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen (Siehe etwa Bericht S.14)

Die Kläger*innen sind zunehmend Naturkatastrophen ausgesetzt, die durch den Klimawandel verursacht werden:

Maya, 19 Jahre alt, aus Saint Martin (Überseegebiet Frankreichs): "Ich habe den größten Teil meiner Kindheit in der Nacht vom 5. auf den 6. September 2017 verloren, als meine Insel vom Hurrikan Irma getroffen wurde. Wenn nichts unternommen wird, um die globale Erwärmung zu begrenzen und den Schutz fossiler Brennstoffe zu beenden, werden weitere ähnliche Katastrophen folgen. Es wird sehr schwer werden, auf meiner Heimatinsel zu leben. Die Folgen werden nicht nur Migrationskrisen oder zerstörte Gebäude sein, es wird um Leben und Tod gehen."

Julia, 17 Jahre alt, aus Ahrtal (Deutschland): "Am 14. Juli 2021 ereignete sich hier im Ahrtal das "Jahrhunderthochwasser", das eine Fläche von etwa 200 Hektar überschwemmte. Mehr als 130 Menschen verloren ihr Leben. Die Vorstellung meiner Zukunft ist geprägt von Ängsten und Unsicherheiten und dem Gefühl der Ohnmacht angesichts der Fatalität des Klimawandels. Noch immer stellen die Regierungen die Gewinne der fossilen Konzerne über die Menschenrechte. Doch der Klimawandel eskaliert und fordert jeden Tag mehr Menschenleben. Wir müssen jetzt handeln, um unsere Rechte zu schützen."

Alexandros, 21 Jahre alt, aus Athen (Griechenland): "Ich habe im Juli 2021 zwei Waldbrände erlebt, während ich die Sommerferien in Athen im Haus meiner Familie verbrachte. Wir wurden außerdem von einer Rekordhitzewelle mit Temperaturen von bis zu 48 °C heimgesucht. Auch im Jahr 2018 gab es 18 km von meinem Haus (in Mati) einen Brand, bei dem 103 Menschen ums Leben kamen. Wir sind einer ständigen Bedrohung ausgesetzt und wissen nicht, wie es weitergeht. Ich fühle mich gestresst und jedes Mal, wenn ich Kiefern in der Sonne sehe, habe ich Angst vor einem Feuer. Die Staaten sollten jetzt handeln, um das Risiko der Klimakrise anzugehen, die Milliarden von Menschen bedroht, und deshalb nehme ich an dieser Aktion teil."

Damien, 23 Jahre alt, Chaudfontaine (Belgien): "Ich habe gesehen, wie ganze Teile meines Lebens durch die Überschwemmungen im letzten Jahr verschwunden sind, Nachbarschaften wurden zerstört und vier Menschen haben ihr Leben verloren. Der Glaube, dass das System und die Gesellschaft um mich herum verlässlich sind, ist zusammengebrochen. Das Geräusch von Wasser oder Regen macht mich nervös. Beim geringsten Regenfall oder bei Informationen über ähnliche Katastrophen kehrt die Angst zurück.“

Marion, 31 Jahre alt, Cressier (Schweiz): "Ich habe jedes Mal Angst, wenn es stürmt, und monatelang konnte ich wegen des Baches nicht im Wald spazieren gehen. Ich wollte nichts sehen, was mit diesem dramatischen Ereignis zu tun hat. Vor zwei Wochen fand einer meiner Klassenkameraden bei der Suche nach meinem Namen in Google Images einen Artikel über unser beschädigtes Haus, und all die traumatischen Erinnerungen kamen zurück. Ich konnte das nicht verarbeiten."

(2) Am 5. Mai 2022 wurde publik, dass der Gaskonzern Ascent Resorces Slowenien vor einem internationalen Schiedsgericht, weil das Land ein Verbot von Fracking beschlossen hat. Anfang 2022 forderten die Energieunternehmen RWE und Uniper von der niederländischen Regierung Milliarden Euro wegen deren Entscheidung zum Ausstieg aus der Kohleverstromung. Weitere Fälle finden Sie hier.

(3) Den EU-Vorschlag, umweltschädliche Investitionen schrittweise aus dem Vertrag auszunehmen, lehnen alle anderen Vertragsparteien ab. Japan oder Kasachstan blockieren zudem jede Vertragsänderung – sogar jene, die nur EU-Staaten betreffen würden. Einer Überarbeitung müssten jedoch alle 53 Vertragsparteien zustimmen.