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Neue Studie: Mobilitätswende ausgebremst. Autokonzerne beeinflussten EU-Mercosur-Abkommen

Abkommen verstärkt den Verbrauch fossiler Brennstoffe und klimaschädlichen Ressourcenabbau

Aachen/Berlin/Hamburg/Wien, 2.6.2022. Seit Beginn des Ukraine-Krieges werden Forderungen nach einem Abschluss von EU-Handelsabkommen wie dem zwischen der EU und den Mercosur-Staaten immer lauter. Die heute veröffentlichte Studie* „Mobilitätswende ausgebremst. Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie” zeigt, wie Autokonzerne die Verhandlungen über das Mercosur-Abkommen erheblich beeinflusst haben - und in besonderem Maße davon profitieren würden.

Dabei ging die Lobbyarbeit nicht nur von den Autokonzernen und europäischen Lobbyverbänden, in denen auch der österreichische Zulieferer Magna organisiert ist, aus. Erstmals veröffentlichte E-Mails belegen, wie Mitarbeiter*innen des deutschen Wirtschaftsministeriums und der EU-Kommission selbst aktiv auf Wirtschaftsverbände zugingen, um deren Wünsche zu erfragen und diese in die Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten einzuspeisen:

„Daher bitte ich Sie Ihre Mitgliedsunternehmen zu befragen (…) Wir würden diese Position dann über die EU-Kommission in die (Mercosur) Verhandlungen einbringen.“ 
Mitarbeiterin des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) in einem Email an den deutschen Verband der Automobilindustrie, VDA, 29. Mai 2017

Ich fordere Sie auf „die Ratifizierung des Mercosur-Vertrags aktiv zu unterstützen, um ein Gegengewicht zu den negativen Botschaften zu schaffen, die eine zunehmende mediale Aufmerksamkeit bekommen“.
Mitglied des Kabinetts von EU-Handelskommissar Phil Hogan an Vertreter*innen mit der European Automobile Manufacturers' Association (ACEA), Daimler und Volvo in einem Treffen am 17. Dezember 2019

Das Ergebnis ist ein Vertragstext, der den Verbrauch fossiler Brennstoffe im Verkehr und klimaschädlichen Ressourcenabbau verstärkt. Denn das Abkommen soll Zölle auf Autos mit Verbrennungsmotor, Autoteile und Rohstoffe (wie Eisen und Stahl, Aluminium, Kupfer, Blei, Zink) für die Autoproduktion beseitigen. Zudem verzichten die Mercosur-Staaten auf Exportsteuern für Kraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermitteln (Soja, Bio-Ethanol aus Rohrzucker) sowie Rindsleder, das für Autositze verwendet wird.

„Dieses Abkommen bremst die dringend nötige Mobilitätswende aus. Statt weiterer Absatzmärkte für die Profitinteressen der Automobilindustrie braucht es den raschen Ausbau ressourcenschonender Alternativen, die klimafreundliche Mobilität für alle Menschen ermöglicht", kritisiert Alexandra Strickner, Handelsexpertin von Attac.

Mehr Agrarflächen für Auto-Treibstoffe statt für Ernährung

Mit dem Abkommen soll auch der Soja- und Zuckerrohranbau zur Verwendung als Brennstoff (Agrosprit) ausgeweitet werden. Dies geht auf Kosten des Klimas und der Welternährung. „Das Abkommen begünstigt, dass noch mehr Lebensmittel wie Soja und Zuckerrohr im Tank landen. Agrarflächen werden aber dringend für die Ernährungssicherung gebraucht, nicht zur Produktion von Fleisch oder Treibstoff für Autos. Das würde die auf einer Verteilungskrise basierende globale Ernährungsnot noch weiter anheizen”, kommentiert Tina Lutz von der Deutschen Umwelthilfe.

Enorme Gefahren für Klima, Umwelt und Menschenrechte

Das Abkommen birgt nicht nur enorme Gefahren für Klima- und Umweltschutz, sondern auch für Menschenrechte. "Wie die Studie mit Fallbeispielen belegt, sind Viehzucht, Anbau von Soja und Zuckerrohr sowie Abbau metallischer Rohstoffe in Brasilien, Argentinien und Paraguay hauptverantwortlich für Entwaldung, Vertreibung von indigenen Gemeinschaften, Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen”, erklärt Armin Paasch von Miseror. Das Nachhaltigkeitskapitel des Abkommens sieht dagegen keinerlei Sanktionen vor, wenn es zu solchen Schäden kommt.

„Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein Autos-gegen-Fleisch-Deal, der vor allem einem Ziel dient: Herstellern klimaschädlicher Autos Produktions- und Importkosten zu sparen. Mit einem gerechten und nachhaltigen Handelsabkommen hat das nichts zu tun. Es muss gestoppt werden“, erklärt Sebastian Theissing-Matei von Greenpeace.

„Zurück an den Start!“

„Es ist an der Zeit, dass die EU die Probleme anerkennt, die mit intransparenten und undemokratischen Abkommen wie EU-Mercosur einhergehen. Um das Klima, die Umwelt und die Menschenrechte wirksam zu schützen, brauchen wir endlich eine Handelspolitik, die nicht nur einigen wenigen sehr mächtigen Lobbygruppen dient“, meint Jeremy Oestreich von PowerShift.

Theresa Kofler, Koordinatorin der Plattform Anders Handeln und Redaktionsmitglied der Studie resümiert: „Wir haben keine Zeit mehr für eine Handels- und Investitionspolitik, welche die Klima- und Hungerkrise weiter verschärft. Die Covid-19 Pandemie und der Ukraine-Krieg zeigen die fatalen Konsequenzen der neoliberalen Globalisierung. Wir brauchen solidarische Handels- und Investitionsabkommen, die den sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschafts- und Lebensweise fördern und Klimaschutz sowie hohe Umwelt- und Sozialstandards garantieren. Für das EU-Mercosur Abkommen heißt das: Zurück an den Start!“

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* Herausgeber*innen der Studie „Mobilitätswende ausgebremst. Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie“ von Thomas Fritz sind: Attac Österreich, Attac Deutschland, Misereor, Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace Deutschland, Powershift e. V., Netzwerk Gerechter Welthandel.

Langfassung
Kurzfassung

Hintergrund:

Die EU-Kommission gab Ende Juni 2019 bekannt, eine Grundsatzeinigung über ein Handelsabkommen mit dem Mercosur erzielt zu haben. Seither hat sie einige Teile des Vertrags veröffentlicht. Dieser soll Teil eines umfassenderen Assoziierungsabkommens mit dem Mercosur werden. Auch für die übrigen Teile des Assoziierungsabkommens wurden die Verhandlungen am 18. Juni 2020 abgeschlossen. Dessen Text jedoch blieb bisher unveröffentlicht. Bislang wurde das Assoziierungsabkommen weder unterzeichnet noch ratifiziert – auch aufgrund des Widerstandes in einigen EU-Staaten (darunter Österreich). Die EU-Kommission versucht über unzureichende und unverbindliche Zusatzprotokolle mit den Mercosur-Staaten diesen Widerstand aus dem Weg zu räumen.