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Offener Brief an den Bundespräsidenten

Fiskalpakt führt in Verfassungskrise

Heute wird im Nationalrat über den Fiskalpakt abgestimmt. Es zeichnet sich ab, dass er mit einfacher Mehrheit angenommen wird. Attac hat mehrfach sowohl vor den wirtschafts-, sozial- und demokratiepolitischen Auswirkungen als auch vor der integrationsfeindlichen Ausrichtung des Fiskalpaktes gewarnt. Durch die Verabschiedung des Fiskalpaktes im Parlament mit einfacher Mehrheit kann Österreich in eine veritable Verfassungskrise stürzen. Zusammen mit der den ErstunterzeichnerInnen von <link http: www.unsereuropa.at _blank external-link-new-window>„Unser Europa“ wendet sich Attac nun in einem offenen Brief an den Bundespräsidenten.


Der offene Brief im Wortlaut:


Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Der „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ (Fiskalpakt) wird demnächst zur Unterzeichnung auf Ihrem Schreibtisch liegen. Obwohl der politische Druck zur Zeit sehr groß ist, möchten wir Sie bitten, den Vertrag im Sinne des Rechtsstaates Österreich nicht zu unterschreiben. Im Standard vom 22. Juni dieses Jahres werden Sie damit zitiert, dass Sie den Vertrag nur unterzeichnen werden, wenn er „verfassungsmäßig zustande gekommen ist“.

Es stellt sich nunmehr heraus, dass die führenden Verfassungs- und Europarechtsexperten des Landes, o. Univ. Prof. DDr. Heinz Mayer, Univ. Prof. Dr. Bernd-Christian Funk, Univ. Prof. Dr. Stefan Griller, Assoz. Univ. Prof. Dr. Franz Leidenmühler und andere, jedoch dezidiert der Meinung sind, dass der „Fiskalpakt verfassungsrechtlich korrekt nur mit Zweidrittelmehrheit bzw. einem Verfassungsbegleitgesetz im Nationalrat beschlossen werden kann.

Wir gehen davon aus, dass Ihnen die Argumente der Wissenschaftler bekannt sind:
Artikel 50, Absatz 1, Ziffer 2 in Verbindung mit Absatz 4 B-VG normiert, dass ein völkerrechtlicher Vertrag, durch den die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bedarf. „Ein Vertrag, der nach Europarecht schmeckt, nach Europarecht riecht - und daher wohl faktisch ein europarechtlicher Vertrag ist. Auch wenn der Fiskalpakt formal so tut, als wäre es reines Völkerrecht. Doch der Fiskalpakt nimmt inhaltlich Bezug auf die Europäische Kommission (bekanntlich ein Organ der EU) und versieht sie mit Aufgaben (Kontrolle). Bei den Durchführungsbestimmungen wird ebenso auf sekundäres EU-Recht verwiesen, und der Pakt soll auch früher oder später in - formales - EU-Recht überführt werden.“ (Prof. Leidenmühler, zitiert in der Wiener Zeitung vom 19. Juni 2012).

Der Vertrag ist materiell verfassungsändernd und bedarf daher der Begleitung durch ein Verfassungsgesetz. Diese Meinung vertreten Prof. Bernd-Christian Funk (öffentliche Veranstaltung am Juridicum, 5. Juni 2012) und Prof. Heinz Mayer, aber auch Prof. Griller, der dies im Rahmen des Hearings im Verfassungsausschuss am 28.06.2012 deutlich zum Ausdruck brachte: „Der Fiskalpakt ist nach Ansicht von Stefan Griller verfassungsändernd und braucht daher im Parlament ein verfassungsmäßiges Ermächtigungsgesetz.

Der Salzburger Universitätsprofessor begründete seine Auffassung an Hand von drei Punkten. Der Fiskalpakt sei mit seiner Begrenzung des strukturellen Defizits von 0,5 % weitaus strenger als der bestehende Stabilitäts- und Wachstumspakt ("Six-Pack"), welcher aber verfassungsrechtlich abgesichert sei. Mit den Bestimmungen des Fiskalpakts werde nun aber die Budgethoheit des Nationalrats eingeschränkt, hielt Griller fest.

Darüber hinaus stieß sich Griller am Art. 7 des Paktes, wonach die österreichische Finanzministerin im ECOFIN verpflichtet ist, mit der Europäischen Kommission zu stimmen, wenn es darum geht festzustellen, ob ein anderer Staat die Vorschriften verletzt hat. Eine derartige Bindung eines Regierungsmitglieds an die Äußerungen der Kommission habe es bisher nicht gegeben, merkte er an. Griller befürchtet auch im Hinblick auf die Salvatorische Klausel im Art. 3 Abs. 2 im Zusammenhang mit Art. 7, dass die MinisterInnen nun eine Normenkontrolle vornehmen müssen, ob die Meinung der Europäischen Kommission europarechtskonform ist. Die Klausel besagt nämlich, dass der Vertrag nur insoweit gilt, insoweit er mit den Verträgen der EU vereinbar ist.“ (Prof. Griller, Parlamentskorrespondenz Nr. 564 vom 28.06.2012).

Außerdem erscheint uns folgende Bestimmung verfassungsrechtlich problematisch: Wenn sich Österreich – wie derzeit – im Defizitverfahren befindet, erhalten gemäß Artikel 5 des Vertrags die Kommission und der Rat das Recht, Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme, die eine detaillierte Beschreibungen der Strukturreformen enthalten müssen, zu genehmigen  Dadurch werden die Gestaltungsrechte des Parlaments in Bezug auf Sparpakete und haushaltsrechtliche Prioritätensetzungen drastisch beschnitten, da die Entscheidungsfindung an die Meinung der Europäischen Kommission und des Rates gebunden ist.

Zu denken muss auch geben, dass die Regierungsparteien für das Hearing zum Fiskalpakt im Verfassungsausschuss des Parlaments am 28.6.2012 keine/n einzige/n unabhängige/n Verfassungsjurist/in gewinnen konnten um die Verfassungskonformität zu bescheinigen. Allein der Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, Dr. Hesse, unterstützte die Regierungsposition.

Wir hoffen, dass Sie die Bedenken der Verfassungsexperten ernst nehmen und den verfassungsmäßig nicht korrekt zustande gekommenen Vertrag nicht unterzeichnen.

Mit freundlichen Grüßen,

  •    Mag.a Alexandra Strickner, Obfrau Attac, Ökonomin
  •    Dr.in Elisabeth Klatzer, Attac Vorstand und Ökonomin
  •    Univ. Prof. i.R. Dr. Emmerich Tálos
  •    Dr.in Michaela Moser, Die Armutskonferenz
  •    Mag. Christian Felber, Buchautor, Attac
  •    Klaudia Paiha, AUGE/UG-Alternative und Grüne GewerkschafterInnen
  •    Mag. Markus Koza, Ökonom, UG Unabhängige GewerkschafterInnen im  ÖGB
  •    Mag.a Karin Küblböck, Attac, Ökonomin
  •    Franzobel, Schriftsteller  
  •    Philipp Sonderegger, Menschenrechtler
  •    Prof. Dr. i.R. Helmut Kramer, Uni Wien

PS: Wir sind uns bewusst, dass Sie vor einer schwierigen Situation stehen. Allerdings wäre eine Unterzeichnung und nachfolgende Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Seiten des Verfassungsgerichtshofes unter Aspekten der Rechtssicherheit und Glaubwürdigkeit der österreichischen Politik wohl noch viel problematischer. Denn unser Verständnis der Materie ist, dass der Vertrag in Österreich zwar nicht angewendet werden darf, wenn der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil das nicht verfassungsmäßig korrekte Zustandekommen feststellt, die völkerrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung und Umsetzung des Vertrages bliebe allerdings bestehen. Diese Situation einer Verfassungskrise in Österreich ist unter allen Umständen zu vermeiden.