Sehr geehrte Abgeordnete des Nationalrats!
Derzeit wird der "Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion" (Fiskalvertrag) im österreichischen Parlament behandelt. Aus der Perspektive von Attac Österreich und vielen Bürgerinnen und Bürgern ist dieser Vertrag eine Bedrohung für die Demokratie und die sozialen Errungenschaften in Österreich und in allen Unterzeichnerstaaten und stellt eine Bedrohung für die europäische Integration dar.
Dieser Vertrag ist ein massiver Angriff auf demokratische Prinzipien und eine substanzielle Selbstentmachtung der nationalen Parlamente, auch des österreichischen Nationalrates. Eines der wichtigsten Rechte des Parlaments - das Haushaltsrecht - wird dreifach massiv eingeschränkt:
(1) durch den Zwang, Schuldenbremsen in die nationale Verfassung – oder auf vergleichbarer Ebene – einzuführen, (2) durch die automatischen Korrektur- und Sanktionsmechanismen - zu deren näheren Ausgestaltung allein die Europäische Kommission berufen ist – sowie (3) durch die Pflicht Haushaltsprogramme der Europäischen Kommission zur Genehmigung (!) vorzulegen, wenn ein Staat (wie auch Österreich) im Defizitverfahren ist. Die Europäische Kommission und der Rat haben im letzten Fall künftig ein Vetorecht gegenüber den nationalen Haushaltsplänen. Auf diese Weise werden die gewählten Volksvertretungen in ihren Gestaltungsmöglichkeiten enorm beschnitten, die Macht der europäischen Exekutive wird einseitig ausgebaut. Die Idee der Gewaltenteilung und rechtsstaatliche Prinzipien werden mit Füßen getreten.
Diese einschneidenden Eingriffe können auch durch Wahlen und neue Mehrheiten in den nationalen Parlamenten nicht mehr geändert werden: Der Vertrag kann nur einstimmig aufgehoben werden, da ein einseitiges Kündigungsrecht für einzelne Staaten nicht vorgesehen ist.
Außerdem zementiert der Fiskalvertrag - ohne zeitliche Begrenzung - eine ökonomisch unsinnige und unsoziale Politik ein. Es soll angeblich darum gehen Staatsschulden abzubauen, doch der Vertrag wird das Ziel durch seine negativen Auswirkungen auf das Wachstum nicht erreichen.Die Einnahmeseite, auf der das wirkliche Problem liegt, bleibt völlig außer Acht. Die VerursacherInnen der hohen Verschuldung werden wieder nicht zur Kasse gebeten, geschweige denn sinnvoll reguliert. Es sind jene, die mit ihren waghalsigen Spekulationen die Finanzkrise ausgelöst haben und so die milliardenschwere Bankenrettung und Konjunkturstützung erst nötig gemacht haben. Es erfolgt weiters keine Koordination der Steuerpolitik im Sinne einer Festlegung von Mindeststeuersätzen bei wesentlichen Steuern und keine Schließung von Steuerschlupflöchern. Der dadurch ermöglichte Steuerwettbewerb bevorzugt seit langem hohe Einkommen und Vermögen sowie Unternehmen und schwächt die Staatshaushalte strukturell.
Durch das Ausblenden dieser Aspekte zwingt der Fiskalpakt alle Länder zu einer Politik der Ausgabenkürzungen. Die Folgen sind absehbar: Sozialabbau, niedrige Löhne im öffentlichen Dienst und Privatisierungen. Die Last der Sanierung der öffentlichen Haushalte wird den Schwächsten der Gesellschaft aufgebürdet. Aus ökonomischer Perspektive kommt hinzu, dass der Vertrag durch den kollektiven Kürzungszwang die Rezessionstendenzen in Europa verschärft.
Der Fiskalvertrag stellt schließlich auch eine Gefahr für den gesamten europäischen Integrationsprozess dar: Als völkerrechtlicher Vertrag umgeht er das bisherige europäische Vertragswerk und tritt somit nicht nur die österreichische Verfassung mit Füßen, sondern die gesamte europäische Architektur. Ein rechtlich notwendiges Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 des EU-Vertrages, welches mittels der Konvent-Methode schon in der Verhandlungsphase die Mitsprache des Nationalrates als auch des Europäischen Parlaments sichert, wird ignoriert. Damit wird eine sinnvolle, solidarische Stärkung der europäischen Integration, die dringend notwendig wäre, nachhaltig geschädigt. Überdies wird die Zustimmung der Bevölkerung zum europäischen Integrationsprojekt weiter sinken, wenn die EU primär für Entdemokratisierung und Sozialabbau steht.
Wir fordern Sie daher dringend auf, den Fiskalvertrag im Nationalrat abzulehnen. Er widerspricht der Idee eines demokratischen und sozialen Europas.
Mit freundlichen Grüßen,
Alexandra Strickner Elisabeth Klatzer
Obfrau Attac Österreich Vorstand Attac Österreich
Wir fordern alle auf sich an der Protestaktion zu beteiligen und diesen (oder einen selbstständig verfassten Brief) an die Abgeordneten zu schicken. Adressen gibt es auf der <link http: www.parlament.gv.at wwer nr external-link-new-window>Homepage des Parlaments.