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Standortschutz statt Investitionsschutz

Unternehmen dürfen keine Spielbälle der Konzerne werden

Der Fall Semperit hat einmal mehr gezeigt, dass Standorte für multinationale Konzernen nicht mehr als Spielbälle sind. Im verzweifelten Versuch, Investoren (vorübergehend) anzulocken, unterbieten Staaten einander bei Steuer-, Arbeits- und Umweltstandards. Globales Dumping ist die Folge. Es handelt sich dabei um ein klassisches Gefangenendilemma: In der Hoffnung auf kurzfristigen Vorteil (Ansiedlung eines Investors) verlieren unterm Strich alle Standorte.

ATTAC schlägt daher ein multilaterales Investitionsabkommen der anderen Art vor: Wenn Konzerne im Ausland investieren, sollen sie Rahmenbedingungen einhalten müssen, die den Standorten nützen. Aus dem geplanten Investorenschutzabkommen der WTO müsste ein Standortschutzabkommen werden. Einige Eckpunkte könnten sein.

  • Investitionen müssen für eine gewisse Mindestdauer getätigt werden; Steuerbefreiungen (tax holidays) Steuervergünstigungen oder Subventionen für Direktinvestoren sind verboten; stattdessen wird eine einheitliche Konzernbesteuerung eingeführt (es gibt bereits mehrere Vorschläge); Verpflichtende Joint Ventures, Cluster oder andere Kooperationen mit regionalen Unternehmen, um Technologietransfer und Innovationsimpulse auf das Gastland sicherstellen; Vorprodukte müssen zu einem gewissen Anteil aus regionaler Produktion stammen, um "Enklavenfabriken" zu vermeiden und die heimische Wirtschaft zu beteiligen; Gewinne müssen zu einem Großteil vor Ort reinvestiert werden, um einen nachhaltigen Entwicklungseffekt im Gastland sicherzustellen; Steuern müssen dort gezahlt werden, wo tatsächlich Umsätze gemacht werden, damit die Konzerne die Infrastruktur, die sie so gerne in Anspruch nehmen, auch entsprechend mitfinanzieren. Die Konzerne müssen in den Gastländern dieselben Arbeitsschutz- und Umweltnormen einhalten wie zu Hause, um Sozial- und Ökodumping zu verhindern. Völlige Kostenwahrheit im Transport, um die Überwälzung von Umwelkosten auf die Allgemeinheit und auf kommende Generationen zu verhindern; um die Ausbreitung nicht nachhaltiger Wirtschafts- und Raumstrukturen zu stoppen und stattdessen lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe wieder anzukurbeln.

Wäre dieses Standortschutzabkommen in Kraft, wäre Semperit nicht abgesiedelt. Das Gefangenendilemma der Standortkonkurrenz kann überwunden werden: Die Staaten-gemeinschaft, allen voran die EU plus Kandidatenländer, müssten kooperieren und sich auf hohe Anforderungen an die Investoren einigen. Dann haben diese keine Wahl. Die Standorte bilden ein Kartell und verlangen einen globalen "Eintrittspreis" für Investoren: hohe Sozial-, Steuer- und Umweltstandards: Nachhaltiges Verhalten par excellence.

Beziehung statt Sterilität: Wenn Investitionen nicht reguliert werden, kommen sie den Gastländern kaum zugute; diese drohen zu sterilen Wirten zu verkommen, die kaum in Kontakt mit den Investoren stehen (Sonderwirtschaftszonen). [In einigen Ländern verschlechtern Direktinvestitionen sogar die Handelsbilanz, weil mehr Vorprodukte aus dem Ausland importiert werden als die Niederlassung exportiert.] Werden Investitionen hingegen reguliert, können sie mit dem Gastland in reichem Austausch stehen: Netzwerke, Tech-nologietransfer, Zulieferer für Vorprodukte, Anstellung lokaler Arbeitskräfte, Steuern etc.

Mögliche Fragen

Ist der Standortwettbewerb nicht positiv?

Wenn Unternehmen untereinander um höhere Qualität und bessere Preise konkurrenzieren, kann Wettbewerb fruchtbar sein. Aber bei Sozial- und Umweltstandards und Steuern hat der Wettbewerb nichts verloren. "Sieger" im Standortwettbewerb ist ja, wer die Konzerne am wenigsten reguliert, d. h., wer die Allgemeininteressen am stärksten verletzt.

Ist es nicht besser, 1000 Jobs im armen Rumänien zu schaffen?

Wenn die Konzerne Steuern zahlen, Umweltstandards einhalten, gute Löhne zahlen und umfangreiche soziale Sicherheit bieten, ja. Aber genau das tun sie ja nicht. Rumänien hat nichts davon, wenn es auf Steuern verzichtet, seine Umwelt versaut und seine Arbeitskräfte schindet. Das Standortschutzabkommen ist auch ein globales Umweltschutz-, Arbeitnehmerschutz- und Steuerabkommen. Wenn nach seiner Einführung die Investoren Rumänien immer noch bevorzugen, haben wir nichts dagegen.

Sind nicht die Entwicklungsländer gegen Sozial- und Umweltstandards?

Niemand tritt für die Verletzung von Menschenrechten und die Zerstörung der Umwelt ein. Einige Regierungen von Entwicklungsländern argumentieren nur mit dem Wettbewerbsnachteil, der ihnen aus einer globalen Harmonisierung von Standards erwüchse. Wenn man sie gewinnen will, muss man ihnen im Gegenzug etwas anbieten: Entschuldung, Aufstockung der Entwicklungshilfe auf 0,7% des Geber-BIP etc. Grundziel muss ein globales Standortschutzabkommen im Rahmen der UNO sein. Den Anfang kann aber ruhig die EU oder die OECD machen, wo ohnehin 95% aller Großkonzerne zu Hause sind.

Geht nicht der Vorschlag der EU für ein multilaterales Investitionsabkommen in der WTO in die Gegenrichtung?

In die Gegenrichtung ging das MAI, das in der OECD verhandelt wurde und aufgrund des Widerstands der Zivilgesellschaft und Frankreichs scheiterte. Durch das MAI wären jegliche Anforderungen an die Investoren (performance requirements) verboten worden. Nicht die Investoren wären durch das MAI reguliert worden, sondern die Gaststaaten. Der Vorstoß der EU innerhalb der WTO, an dem um ein Haar die Millenniumsrunde in Doha gescheitert wäre, ist deutlich schwächer und nur Verhandlungsbasis: Was letztlich rauskommt, ist offen.

Werden nicht Konzerne auf Investitionen verzichten, wenn diese reguliert werden?

Nein. Investitionen finden trotzdem statt, weil Gewinne verwertet werden müssen. Wenn ergänzend Finanzinvestments durch Transaktions- und Gewinnsteuern global unattraktiv gemacht und Fusionen durch ein strenges globales Kartellrecht erschwert werden, wie ATTAC es fordert, wird sogar noch mehr investiert werden. Großkonzerne sind dann nämlich gezwungen, ihre Milliardengewinne in die Realwirtschaft und in die Schaffung von Arbeitsplätzen zu investieren.