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Studie: Fossile Industrie klagt gegen Klimaschutz

Rechtsexperten kritisieren Energiecharta-Vertrag / Attac und PowerShift für sofortigen Ausstieg

Die fossile Industrie ist der prozessfreudigste Wirtschaftszweig im internationalen Schiedsgerichtssystem zwischen Investoren und Staaten (ISDS). Auf sie entfallen mit 231 Klagen fast 20 Prozent der international bekannten ISDS-Fälle (1) – Tendenz stark steigend. Das zeigt ein neuer Report des International Institute for Sustainable Development (IISD).

Das internationale Schiedsgerichtssystem und die dabei zur Anwendung kommenden internationalen Verträge (wie der Energiecharta-Vertrag oder Handels- und Investitionsabkommen) sind somit eine ernste Gefahr für staatliche Maßnahmen zum Klimaschutz.

„Die meisten dieser Verfahren werden zugunsten von Investor*innen entschieden. Der durchschnittliche Entschädigungsbetrag ist mit mehr als 600 Millionen US-Dollar dabei fast fünfmal so hoch wie bei Fällen, bei denen es sich nicht um fossile Brennstoffe handelt“ erklärt Lukas Schaugg, Referent im Bereich Investitionsrecht des IISD im Rahmen eines heutigen Pressegesprächs, veranstaltet von PowerShift und Attac Österreich.

Gabriel Lentner, Assistenzprofessor für Internationales Recht und Schiedsgerichtsbarkeit an der Donau-Universität Krems, kritisiert auch die Einseitigkeit der Schiedsverfahren. „Öffentliche Interessen wie Umwelt- oder Klimaschutz spielen darin gegenüber über den Interessen der Investor*innen eine untergeordnete Rolle. Angesichts der Klimakrise ist es höchste Zeit, die von Investitionsschutzverträgen garantierten Privilegien ganz grundsätzlich zu hinterfragen.“

Trotz Verhandlungen: Energiecharta-Vertrag bleibt unvereinbar mit Pariser Klimaabkommen

Eine besondere Stellung unter den internationalen Verträgen nimmt dabei - laut den Rechtsexperten - der Energiecharta-Vertrag (ECT) ein: Mit 34 Klagen hat der Vertrag so viele Klagen von fossilen Unternehmen ausgelöst wie kein anderer. Die hohe Anzahl von 55 Mitgliedsstaaten (unter ihnen großteils Industriestaaten) und die besonders weitreichenden Investorenrechte machen ihn besonders beliebt für Klagen.

Aktuell laufen noch bis Juni 2022 internationale Verhandlungen zur Überarbeitung des ECT. Dabei versucht die EU-Kommission den Vertrag in Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu bringen. Doch folgende Ergebnisse zeichnen sich bereits ab:

  • Der Investitionsschutz für fossile Energieträger wird noch viele Jahre weiterlaufen und für einige ECT-Mitgliedsstaaten gar nicht aufgehoben. Somit wird der Vertrag nicht mit den Pariser Klimazielen in Einklang gebracht.
  • Jene Klauseln, die Klagen gegen Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen in der Vergangenheit hervorgerufen haben, bleiben im Vertrag erhalten. 
  • Das alte, stark umstrittene Streitbeilegungssystem (Investor-State-Dispute-Settlement, ISDS) wird beibehalten, obwohl die EU angekündigt hatte, dieses System nicht mehr zu akzeptieren.

„Endlich aus diesem Klimakiller-Vertrag aussteigen.“

„Die österreichische Regierung steht leider immer noch hinter diesem Klimakiller-Vertrag, der von der fossilen Industrie verwendet wird, um den Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl zu verschleppen. Die Klimakrise erfordert aber rasches Handeln. Möglichst viele EU-Länder sollten daher gemeinsam aus diesem Klimakiller-Vertrag aussteigen - und zwar sofort“, fordert Iris Frey von Attac Österreich.

Fabian Flues, Referent für Handelspolitik bei PowerShift, Deutschland: „Es ist bereits abzusehen, dass der überarbeitete Energiecharta-Vertrag die alten Probleme haben wird: Fossile Investoren werden weiterhin vor einseitigen Schiedsgerichten klagen können. Deshalb muss auch die neue deutsche Bundesregierung die Reißleine ziehen und zusammen mit anderen Ländern aus dem Vertrag austreten."

Hintergrund:

Der Energiecharta-Vertrag wurde Mitte der 1990er Jahre geschlossen. Unter dem Vertrag haben bisher mindestens 145 Investoren Schiedsverfahren gegen Staaten eingeleitet: So verklagen RWE und Uniper seit Frühjahr 2021 die Niederlande auf 2,4 Mrd. Euro Entschädigung für deren Kohleausstieg bis 2030. Auch Deutschland wurde bereits mehrfach unter dem Energiecharta-Vertrag verklagt.

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(1) Die Schiedsverfahren wurden im Rahmen eines Datensatzes identifiziert, der Investor-Staat-Schiedsverfahren 1,206 in allen Sektoren auf der Grundlage von internationalen Investitionsabkommen, nationalen Investitionsgesetzen und Investitionsverträgen umfasst. Die Datenbank umfasst alle Schiedsverfahren, die bis zum 31. Dezember 2020 eingeleitet werden und in den Datenbanken des Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) oder der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) enthalten sind. Dabei herrscht ein weit verbreiteter Mangel an Transparenz. Insgesamt sind 54 der abgeschlossenen Fälle im Zusammenhang mit fossilen Brennstoffen vertraulich – ihre Existenz ist zwar bekannt, aber es wurden keine fallbezogenen Dokumente wie Schiedssprüche oder Entscheidungen veröffentlicht.

Weiterführende Links:

Sudie des International Institute for Sustainable Development: Investor–State Disputes in the Fossil Fuel Industr:

Internationale Seite mit weiteren Informationen zum Energiecharta-Vertrag