Stellungnahme Attac Österreich
Europa ist im Aufrüstungsfieber
Kaum ein Thema polarisiert aktuell mehr als das Thema Krieg und Aufrüstung. Militärs, Sicherheitsexperten und Medien zeichnen dabei fast täglich neue Bedrohungs- und Kriegsszenarien. Wir müssen demnach (wieder) “wehrhaft” und “kriegstüchtig” werden – in unseren Köpfen, durch mehr Waffen und mehr Geld fürs Militär.
Die Summen dafür sind gewaltig. Die EU will bis 2030 rund 800 Milliarden Euro in Aufrüstung stecken. Dafür bricht sie sogar mit neoliberalen Dogmen und lockert die EU-Schuldenregeln. Das NATO-Ziel für Rüstungsausgaben von 2 Prozent soll auf über 3 Prozent, wenn nicht sogar 5 Prozent des BIP erhöht werden. Rüstungskonzerne melden Rekordaufträge, ihre Aktienkurse schießen in die Höhe. Auch in Österreich sollen die Militärausgaben bis 2033 verdoppelt werden – trotz Kürzungspolitik. Die Neutralität? Ein angeblich ein veraltetes Konzept. Statt Friedenslogik dominieren Kriegsrhetorik, Aufrüstung und Eskalation.
Neben der EU rüsten vor allem Russland, die USA und China seit Jahren massiv auf. 2024 stiegen die weltweiten Militärausgaben um fast weitere 10 Prozent auf den Rekordwert von 2.718 Milliarden US-Dollar. Zwei Drittel davon entfielen auf die NATO-Staaten.
Wer die aktuelle Kriegslogik und Abschreckungsrhetorik hinterfragt oder ihr widerspricht, wird heute oft als naiv belächelt oder sogar als „Putin-Versteher“ beschimpft. Doch wir sind überzeugt: Die massiven Aufrüstungsprogramme schaffen weder Sicherheit noch Frieden. Im Gegenteil – sie verschärfen Spannungen, engen politische Spielräume ein und binden enorme finanzielle Mittel, die für soziale Sicherheit, Klimaschutz und globale Gerechtigkeit fehlen.
Mehr Waffen verhindern keine Kriege
Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine löst in vielen europäischen Staaten Ängste vor weiteren Angriffen aus. Wie groß diese Gefahr (auch angesichts der russischen Verluste in der Ukraine) tatsächlich ist, kann niemand mit Sicherheit beantworten. Klar ist, dass Europa schon heute Russland in allen konventionellen Waffengattungen deutlich übertrifft – auch ohne die USA. Insgesamt ist die NATO Russland militärisch weit überlegen und gibt heute 10-mal so viel für Militär aus.
Die entscheidende Frage ist, ob mehr Aufrüstung Kriege verhindert und militärische Abschreckung funktioniert. Das oft genannte Beispiel der nuklearen Abschreckung hat konventionelle Kriege mit Beteiligung von Atommächten (Korea, Vietnam, Falkland-Inseln, Indien und Pakistan) nicht verhindert. Hinzu kommt das Risiko, dass die Menschheit durch einen Atomkrieg völlig ausgelöscht wird.
Gegen die Abschreckungstheorie spricht auch, dass es trotz Rekord-Aufrüstung global im Jahr 2023 eine Zunahme auf weltweit 22 Kriege gab. Der Global Peace Index 2024 listete 56 aktive Konflikte, so viele wie nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch die UNO meldete 2023 die höchste Anzahl an gewalttätigen Konflikten.
Eine weltweite Aufrüstungsspirale bis hin zur atomaren Aufrüstung birgt in jedem Fall ein großes Eskalationsrisiko. Die Fixierung auf militärische Lösungen verstellt den Blick auf politische Ansätze wie Vermittlung, Dialog und Diplomatie. Auch die Bekämpfung von Kriegsursachen gerät aus dem Blickfeld.
Mehr Waffen bringen keinen Wohlstand und heizen die Klimakrise an
Aufrüstung wird auch zunehmend ökonomisch legitimiert: Als Wachstumsmotor soll sie nun auch der aktuellen Wirtschaftskrise entgegenwirken. Doch das ist aus mehreren Gründen ein antisozialer und ökologisch verheerender Irrweg.
Waffen und Militärgüter werden für Kriege produziert, nicht für menschliche Bedürfnisse. Im besten Fall kommen sie nie zum Einsatz. Aber wenn es geschieht, verursachen sie nicht nur Tod und menschliches Leid – sondern auch enorme ökologische Schäden: Verseuchung von Böden und Gewässern, Flächenverbrauch, Vernichtung von Biodiversität. Panzer, Kampfjets und Kriegsschiffe verbrauchen zudem riesige Mengen fossiler Energie. Wäre das weltweite Militär ein eigener Staat, stünde es in der Rangliste der größten Treibhausgas-Emittenten an vierter Stelle. Zugleich sind mehr als die Hälfte der zehn größten globalen Sicherheitsrisiken bereits heute direkte oder indirekte Auswirkungen der Klimakrise.
Ressourcen wie Geld, Arbeitskräfte und Rohstoffe, die in Rüstung fließen, fehlen zudem andernorts. Die Rüstungsindustrie bindet Fachkräfte und Produktionskapazitäten, die wir eigentlich dringend für den Umbau zu einer klimafreundlichen Wirtschaft brauchen, zum Beispiel für den Bau von Windrädern, Zügen oder Wärmepumpen.
Für umfassende Sicherheit
Was an Geld in Waffen investiert wird, fehlt für Gesundheit, Pflege, Bildung, Klimaschutz und Infrastruktur – gerade in Zeiten knapper Budgets. Doch wer in Armut lebt, sich Bildung oder Pflege nicht leisten kann oder durch Extremwetterereignisse die Lebensgrundlage verliert, lebt in Unsicherheit. Soziale Unsicherheit und Ausgrenzung stärken autoritäre Kräfte und gefährden Demokratie und Frieden.
Umfassende menschliche Sicherheit ist daher mehr als militärische Abschreckung und territoriale Sicherheit. Sie muss auch menschliche Bedürfnisse ins Zentrum stellen: Investitionen ins Militär müssen im Klimaschutz, Bildung, Gesundheit und soziale Absicherung umgeleitet werden – nicht umgekehrt. Der Schutz vor Spionage, Cyberangriffen und digitalen Destabilisierungsversuchen kann und muss Teil einer modernen, zivil ausgerichteten Sicherheitsstrategie sein. Auch Wirtschafts- und Handelsbeziehungen müssen solidarisch und kooperativ gestaltet werden und die Basis für Frieden legen.
Kriege sind mit unserem Wirtschaftssystem verknüpft
Kriege gehen in der Regel von politischen und wirtschaftlichen Eliten aus. Während einige wenige wirtschaftlich profitieren, zahlen große Teile der Bevölkerung den Preis: als Soldat*innen an der Front, als zivile Opfer oder durch Verlust von Angehörigen.
Moderne militärische Konflikte sind oftmals eng mit unserem aktuellen Wirtschaftssystem verknüpft. Der Kapitalismus ist auf Profitmaximierung, permanentes Wachstum und einen stetig steigenden Verbrauch natürlicher Ressourcen angewiesen. In einer in Nationalstaaten gegliederten Welt führt das zwangsläufig zu internationalen Spannungen. Geopolitische Strategien zielen darauf ab, Zugang zu Ressourcen zu sichern: durch neokoloniale Handelsabkommen (siehe EU-Handelsagenda), wirtschaftliche Sanktionen, Handelskriege oder notfalls eben auch militärische Intervention.
Der ökonomische Aufstieg Chinas und anderer Schwellenländer sowie die abnehmende US-Hegemonie verschärfen die weltweiten Blockkonfrontationen. Auch der russische Angriff auf die Ukraine und die „Vermittlerrolle“ der USA sind Ausdruck globaler Machtkonflikte um knapper werdende Ressourcen – sichtbar etwa im Rohstoffabkommen zwischen den USA und der Ukraine. Rohstoffkonzerne haben oftmals strategische Interessen an Konflikten: Sie kooperieren mit autoritären Regimen, fördern Korruption und sichern sich durch gezielte politische Einflussnahme lukrative Abbaurechte.
Für Abrüstung und gemeinsame, demokratische Sicherheitspolitik
Attac stellt sich der Logik von Aufrüstung und Abschreckung entschieden entgegen. Internationale Abrüstungsverhandlungen müssen wiederbelebt und gekündigte Abrüstungsverträge neu verhandelt werden.
Sicherheit lässt sich nicht gegeneinander, sondern nur miteinander erreichen. Statt eines zerstörerischen Wettbewerbs braucht es Zusammenarbeit für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur. Die UN-Charta bleibt dafür der völkerrechtliche Rahmen. Sie basiert auf Gewaltverbot, Kooperation und kollektiver Sicherheit – und anerkennt zugleich das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung, territoriale Unversehrtheit sowie Selbstbestimmung der Völker.
Völkerrechtswidrige Angriffe dürfen grundsätzlich nicht hingenommen werden. Ob in der Ukraine, im Nahen Osten oder weltweit: Das Völkerrecht muss für alle gelten. Friedenspolitik muss zugleich Wege aufzeigen, wie Gewalt beendet werden kann – etwa durch engagierte Diplomatie, Verhandlungen unter Einbeziehung Dritter sowie durch Sicherheitsgarantien, idealerweise unterstützt von starken UN-Truppen. Die Durchsetzungskraft der UNO und die für die Konfliktbeilegung zuständige OSZE müssen gestärkt und zivilgesellschaftliche Expertise systematisch einbezogen werden. Zivile Friedens- und Konfliktforschung, Mediation und Friedensbildung sind auszubauen und finanziell deutlich besser auszustatten.
Gleichzeitig fordern wir eine echte demokratische Kontrolle über sicherheitspolitisch relevante Bereiche. Aktuell prägen Rüstungskonzerne mit ihren Profitinteressen und Lobbys die sicherheitspolitische Debatte mit. Eine Vergesellschaftung würde sicherstellen, dass Entscheidungen, ob Waffen entwickelt, produziert und exportiert werden, nicht von privaten Profitinteressen mitbestimmt werden.
Auch wenn es heute utopisch erscheint und Widerspruch provoziert: Wir halten an der Vision umfassender und wechselseitiger Abrüstung und eines Umbaus der Rüstungsindustrie zu einer zivilen und nachhaltigen Wirtschaft fest.
Für eine engagierte Neutralität Österreichs
Militärbündnisse schaffen Fronten, statt Brücken zu bauen. Attac steht daher klar zur Neutralität Österreichs. Sie verpflichtet Österreich dazu, sich an keinen Militärbündnissen und keinen Kriegen zu beteiligen. Doch engagierte Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit: Sie ist aktiv und solidarisch mit Angegriffenen, tritt für Vermittlung ein und macht konstruktive Vorschläge für umfassende Sicherheit. Auch klassische, neutrale Friedenseinsätze im Rahmen von UNO-Mandaten leisten wichtige Beiträge zum Frieden.
In einer Welt wachsender Blockbildung braucht es Länder, die Räume für Dialog, Entspannung und Abrüstung schaffen. Davon gibt es immer weniger. Eine engagierte Neutralität Österreichs ist daher kein Auslaufmodell, sondern ein unverzichtbarer Beitrag zum Frieden. Ihre Glaubwürdigkeit darf nicht weiter durch die Teilnahme an EU-Kampfgruppen oder NATO-Truppentransporte ausgehöhlt werden.
Gegen die Logik von Zerstörung, Gewalt und Profit
Noch nie gab die Welt mehr für Waffen, Rüstung und Militär aus. Was aktuell fehlt, ist der Mut, der Aufrüstungslogik zu widersprechen. Es wäre vermessen zu behaupten, dass das einfach und frei von Widersprüchen ist. Abrüstung und Frieden erfordern komplexe und oft langwierige Prozesse. Wir müssen den Mut dafür gemeinsam entwickeln – mit starken internationalen Bewegungen, die sich gegen die Logik von Zerstörung, Gewalt und Profit stellen und für ein gutes Leben für alle Menschen eintreten.
Weiterlesen:
Friedensperspektiven in der globalisierten Welt (Attac Positionspapier 2024)
Attac Stellungnahme zum Nahost-Konflikt (2023)
Attac Stellungnahme zum Ukraine-Krieg (2022)