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Wie ein internationaler Knebelvertrag die Energiewende verhindert

Der „Vertrag über die Energiecharta“ räumt Energiekonzernen das Recht ein, Staaten auf „Entschädigung“ zu klagen

von Martin Konecny, erschienen zuerst am mosaik blog

Wollen wir die Klimakrise stoppen, reicht es nicht aus, erneuerbare Energien auszubauen. Wir müssen bestehende fossile Energiequellen stilllegen. Für Konzerne, die mit fossilen Energien wirtschaften, würde das deutliche Gewinneinbußen bedeuten. Das wissen die Konzerne. Deshalb tun sie alles, um ihre Profite zu schützen und die Energiewende zu blockieren. Bekannte Methoden sind massives Lobbying oder die Finanzierung von Klimawandelleugner*innen. Doch weitgehend abseits der Öffentlichkeit haben die Konzerne aber noch ein weiteres, machtvolles Instrument benutzt: den „Vertrag über die Energiecharta“, ECT.

Was genau ist der ECT?

Der ECT wurde 1994 unterschrieben und sollte ursprünglich vor allem dazu dienen, Investitionen europäischer Energiekonzerne während der neoliberalen Transformation Osteuropas abzusichern. Sie sollten nicht durch staatliche Interventionen gefährdet sein. Mitglieder sind neben den EU-Mitgliedsstaaten noch eine Reihe weiterer Staaten vor allem in Osteuropa und Zentralasien. Der Vertrag deckt Handel, Transit und Investitionen in Energie ab und schützt in seinem Kern alle Energieinvestitionen – und die beinhalten nach wie vor meist Kohle, Öl und Gas. Im Klartext bedeutet das, dass der ECT heute in allen Mitgliedsländern jene Energieinvestitionen sichert, die wir eigentlich längst stilllegen müssten.

Die Konsequenz: Alle gedeckten Investitionen werden, wenn sie wie geplant und durch das Abkommen geschützt weiterlaufen, noch unvorstellbare 57 Gigatonnen CO2 ausstoßen. Das ist mehr als doppelt so viel, als die EU ausstoßen darf, um das 1,5-Grad-Limit einzuhalten. Dazu kommt, dass die durch das Abkommen geschützten Investitionen mehr werden, jährlich um rund 50 Milliarden Euro, die Mehrheit davon in fossile Energie. Der ECT fördert somit eine Entwicklung, die exakt im Gegensatz zur notwendigen Politik steht.

Wie bitte? Konzerne klagen Staaten?

Als zentrales Mittel um ihre Investitionen und Profite zu schützen, dient den Energiekonzernen die im ECT enthaltenen Konzernklagerechte. Sie ermöglichen es ihnen, Staaten zu klagen(!), wenn politische Entscheidungen die Profite der Konzerne schmälern. Darunter fallen zum Beispiel schärfere Umweltauflagen.

Das dafür geschaffene Instrument ist das das sogenannte „Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren“, das als ISDS abgekürzt wird (aus dem Englischen: Investor-State-Dispute-Settlement). Das Instrument der ISDS ist ausschließlich für transnationale Konzerne geschaffen worden. ISDS-Tribunale entscheiden, ob und wie viel Entschädigung einem Konzern zusteht. Dabei spielt es keine Rolle, ob Maßnahmen die zur Entwertung von Investitionen führen, demokratisch zustande gekommen sind, oder wichtigen gesellschaftlichen Interessen dienen. Relevant ist nur, ob die Konzerne durch die Maßnahmen ihre Investition oder die darauf erwarteten Profite verlieren.

Anders als vor nationalen Gerichten, gibt es auch keine Richter*innen. Drei private und hochbezahlte Investitionsanwält*innen sitzen in einem Tribunal, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagt. Jeweils ein*e Vertreter*in von Staat und Konzern und ein*e Anwält*in auf den sich die beiden Parteien geeinigt haben. Sie entscheiden, ob der Staat Entschädigungen zahlen muss oder verhandeln einen Vergleich.

So verwenden die Konzerne das sogenannte Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (ISDS)

Bereits zaghafte Schritte zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen nehmen Konzerne zum Anlass, ISDS einzusetzen. 2009 wehrte sich der Energiekonzern Vattenfall gegen strengere Umweltauflagen für ein Kohlekraftwerk nahe Hamburg. Erst als die Stadt die Umweltauflagen wieder senkte, zog Vattenfall die Klage zurück. Das Verfahren endete mit einem Vergleich

Ein aktuelles Beispiel liefert die Niederlande. Das nationale Parlament hat letzten Dezember beschlossen, alle Kohlekraftwerke des Landes bis 2024 stillzulegen oder zumindest auf andere Energiequellen umzustellen. Betroffen davon wäre auch der deutsch-finnische Energiekonzern Uniper. Er eröffnete noch 2016 – im vollen Wissen der Klimakrise – das Kohlekraftwerk Maasvlakte bei Rotterdam und investierte insgesamt 1,6 Milliarden Euro. Jetzt sieht er seine Investition durch den demokratisch Beschluss gefährdet. Uniper hat bereits angekündigt, die im ECT garantierten Konzernklagerechte zu nutzen und Entschädigungen bis zu einer Milliarde Euro zu fordern. Sollten der Konzern damit Erfolg haben, fließen öffentliche Gelder in die Taschen der Aktionär*nnen von Uniper – Gelder, die es eigentlich für die Energiewende bräuchte

Mit insgesamt 128 bekannten Fällen ist der ECT der am meisten genutzte Vertrag, um Konzernklagerechte durchzusetzen. Die Zahl könnte sogar noch höher sein, da die Tribunale keinerlei Transparenz unterliegen und daher nicht einmal alle Fälle der Öffentlichkeit bekannt werden.

Der ECT verhindert die Energiewende

Fast noch gefährlicher als die praktischen Kosten solcher Klagen sind die Folgen der Konzernklagerechte auf die Politik. Denn es reicht das Wissen über potentiell kostspielige Klagen, um eine progressive Klimapolitik zu verhindern. So plante zum Beispiel der französische Umweltminister 2017 ein Gesetz, um die Öl-Förderung bis 2040 in allen französischen Gebieten zu beenden. Daraufhin schrieb die kanadische Firma Vermilion einen Brief, in dem sie der Regierung mit einer ISDS-Klage drohte. Unter dem Druck dieser Drohungen und massivem Lobbying der Öl-Konzerne gab die Regierung schließlich nach und weichte das Gesetz maßlos auf.

Auch in Deutschland zeigen sich im Kontext des von der Bundesregierung beschlossenen Kohleausstiegs die Konsequenzen. Trotz des viel zu späten Datums von 2038 wird die Öffentlichkeit die Kohlekonzerne RWE und Leag mit über vier Milliarden Euro entschädigen. Dafür verzichten die Konzerne auf die Möglichkeit vor ein ISDS-Tribunal zu ziehen – zumindest bis auf weiteres. Denn trotz dieser stattlichen Summe, die weitere Klagen abwenden soll, bleibt die Gefahr bestehen, zum Beispiel wenn die Politik doch noch einen früheren, mit den Klimazielen vereinbaren, Kohleausstieg beschließen sollte.

Sowohl Frankreich als auch Deutschland zeigen: Der ECT und die Konzernklagerechte schränken den Spielraum für demokratische und ökologisch notwendige Politik massiv ein.

Kommen wir aus dem ECT raus und wenn ja, wie?

Der ECT macht eine Energiewende und den Weg zu Klimagerechtigkeit derzeit unmöglich. Der Vertrag sorgt dafür, dass die fossile Energiekonzerne die Öffentlichkeit durch Entschädigungsklagen ausbluten. Wir brauchen genau dieses Geld, um die Energiewende zu schaffen und für die Menschen einen gerechten Übergang zu ermöglichen. Statt dem Schutz privater Profite brauchen wir gerade in der Energieproduktion mehr öffentliches Eigentum.

Am 6. Juli begann ein Modernisierungsprozess des ECT, auf den Befürworter*innen des Abkommens, wie die EU-Kommission, verweisen und Kritiker*innen zum Abwarten ersuchen. Dabei stehen weder die Konzernklagerechte noch der Schutz von fossilen Energieträgern zur Diskussion. Außerdem können sich die Verhandlungen Jahre ziehen – Zeit, die wir in der Klimakrise nicht haben.

Angesichts dessen bleibt ein Ausstieg aus dem Vertrag für die einzelnen Mitgliedsstaaten der beste Ausweg. Es gibt allerdings einen Haken. Die unterzeichnenden Staaten haben sich dazu verpflichtet, dass alle Investitionen, die bis zum Austritt getätigt wurden, noch 20 Jahre unter den Schutz des ECT fallen. Angesichts der Tatsache, dass wir die Energiewende früher schaffen müssen, ein viel zu langer Zeitraum.

Ob diese Regeln Bestand haben, gerade dann, wenn mehrere Staaten beginnen aus dem Vertrag auszusteigen, ist aber nicht nur eine juristische, sondern auch eine politische Frage. Wenn wir es mit der Energiewende ernst meinen, müssen wir diese Frage jetzt stellen.
 

Martin Konecny ist Politikwissenschafter, arbeitet für das Netzwerk Seattle to Brussels beruflich zur neoliberalen Handels- und Investitionspolitik der EU.