Die 3er-Regierung: Ein wenig Licht, viel Schatten

Die Attac-Analyse des Regierungsprogramms

Noch vor wenigen Wochen hieß es “Alarm für die Republik”. Mit Bundeskanzler Kickl drohte Österreich ein autoritärer Angriff – auf Demokratie, Menschenrechte, unabhängige Medien, Justiz und den sozialen Zusammenhalt. Am 9. Jänner sind allein in Wien 50.000 Menschen dem Aufruf eines breiten Bündnisses gefolgt und gegen diesen Angriff auf die Straße gegangen.

Die Warnungen wurden bestätigt: Auf den 233 Seiten des gescheiterten blau-türkisen Regierungsprogramms konnten wir Punkt für Punkt nachlesen, welche Gefahr diese Regierung für Österreich bedeutet hätte. Ihr Scheitern ist ein Erfolg für alle, die dagegen Widerstand geleistet haben. Das ist die eine Seite der Medaille. 

Alles gut?

Die zweite Seite der Medaille zeigt sich bei einer kritischen Analyse des Regierungsprogramms von ÖVP, SPÖ und NEOS. Das Programm unterscheidet sich erfreulicherweise in vielen Punkten grundlegend vom autoritären und menschenfeindlichen blau-türkisen Angriff. Doch ist damit natürlich nicht alles gut. Einige Giftzähne von Blau-Türkis finden sich auch im neuen Programm: Kürzungsprogramme auf dem Rücken der hart arbeitenden Menschen in diesem Land. Gebührenerhöhungen für alle, die Abschaffung des Klimabonus, Pensionist*innen werden zur Kasse gebeten. Auch ein fairer Beitrag der Reichsten fehlt. Der sozial-ökologische Umbau, der dringend notwendig ist, um die Krisen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen, bleibt aus. In der Sozialpolitik gibt es Fortschritte, aber auch Rückschritte. Auch der Abbau von Grund- und Menschenrechten im Asylbereich schreitet voran.

Analyse des Programms in einigen Attac-Themen:

Budget und Steuern: Kürzungen für die Mehrheit statt fairer Beitrag der Reichsten

Die neue Regierung will allein heuer 6,4 Milliarden Euro kürzen – und das vor allem auf dem Rücken der breiten Bevölkerung. All das geschieht auf der Grundlage völlig willkürlicher EU-Schuldenregeln. Diese werden von der aktuellen Regierung nirgends infrage stellt, sondern sogar noch bekräftigt. Warum diese Regeln neoliberaler und undemokratischer Unsinn sind, haben wir kürzlich hier erklärt. Ihre Scheinheiligkeit zeigt sich aktuell auch daran, dass sie für Aufrüstung gelockert werden, nicht aber für die Bekämpfung der Klimakrise und der Ungleichheit.

Fest steht: Mit dem neuen Regierungsprogramm werden die Reichsten keinen fairen Beitrag zum Budget leisten. Von Vermögensteuer, Erbschaftsteuer oder fairer Besteuerung von Kapitalgewinnen ist nichts zu lesen. Enthalten sind lediglich kleine Erhöhungen bei vermögensbezogenen Steuern im Bereich Immobilien und Stiftungen. Die jährlichen Einnahmen daraus bleiben aber mit 350 bis 400 Millionen Euro äußerst überschaubar. Zum Vergleich: Allein das Anheben der Vermögenssteuern auf den Durchschnitt der Industriestaaten brächte jährlich etwa 7 Milliarden Euro. Eine progressive Attac-Vermögensteuer könnte rund 15 bis 20 Milliarden Euro einbringen. 

Bei den Konzernen sollen weiterhin 200 Millionen aus einer Sondersteuer für Energieunternehmen kommen – angesichts der Milliardengewinne des Sektors ein bescheidener Betrag. Die Anpassung der Bankenabgabe ist zu begrüßen, doch genau genommen ist sie auf die Jahre 2025 und 2026 begrenzt. Ab 2027 soll sie nur rund 200 Millionen Euro bringen – und damit deutlich weniger als etwa im Schnitt der Jahre 2014 bis 2024. Dabei haben die Banken in den vergangenen drei Jahren auf Kosten von Sparer*innen und Kreditnehmer*innen Rekordprofite von fast 30 Milliarden Euro abgeschöpft. 

Zum Vergleich: Allein die türkis-grüne Senkung der Körperschaftsteuer (KöSt) auf 23 Prozent kostete die Allgemeinheit mehr als 1,2 Milliarden Euro – trotz Rekordförderungen von Unternehmen in den vergangenen Jahren wird sie nicht zurückgenommen. Sinnvoll wäre stattdessen die Einführung eine grundsätzlich nach Gewinnhöhe gestaffelte KöSt für alle Unternehmen, die je nach Ausgestaltung mehrere Milliarden Euro zusätzlich bringen könnte.

Erhöhungen für alle wird es hingegen bei den Gebühren geben – zum Beispiel bei Reisepässen, Führerscheinen und Kfz-Zulassungen um fast die Hälfte teurer werden. Auch Tabaksteuern und Krankenversicherungsbeitrag für Pensionist*innen werden erhöht.

In Summe verzichten wir mit diesem Programm nicht nur auf Milliarden für den dringend nötigen klimasozialen Umbau der Wirtschaft. Wir erleben auch täglich, wie die Reichsten weltweit die Demokratie angreifen – trotzdem unternimmt die Regierung nichts gegen die demokratiegefährdende Vermögenskonzentration.

Die Ministerien sollen querbeet je 15 Prozent in der Verwaltung “einsparen”. Was mancherorts in kleinem Ausmaß sinnvoll sein kann, kann anderenorts derart radikal verheerende Auswirkungen haben – man denke beispielsweise nur an die Justiz.

Auch die Abschaffung des Klimabonus ist eine Steuererhöhung für alle. Ab 2027 müssen wir mit einem starken Anstieg des CO₂ Preises rechnen, für den der Klimabonus als Ausgleich gedacht war. Die Abschaffung wir untere Einkommensschichten besonders hart treffen wird. Allen voran betroffen sind Menschen, denen keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stehen oder das Geld für den Tausch veralteter Öl- und Gasheizungen fehlt.

Genau so ist es bei den noch unter Vorbehalt stehenden Kürzungen der Lohnnebenkosten. Die Arbeiter*innen und Angestellten erwirtschaften diese und finanzieren damit den Sozialstaat. Werden diese gekürzt, so werden Leistungen – vor allem für Familien –  schlechter bzw. weniger.

Keine Kehrtwende in der Handelspolitik

Die Regierung will den internationalen Handel intensivieren und gleichzeitig “soziale und ökologische Standards” einhalten und fördern. Dies ist zwar zu begrüßen, nötig wäre jedoch eine 180-Grad-Wendung in der internationalen Handelspolitik. Davon ist im Regierungsprogramm keine Rede. Einzelne Handelsabkommen wie EU-Mercosur, EU-Mexiko oder EU-Indonesien, die ganz oben auf den To-do-Listen in Brüssel stehen, werden nicht benannt. Auch ein Bekenntnis zur Entscheidung des Nationalrates, das EU-Mercosur Abkommen abzulehnen, bleibt aus. Und während die EU das Lieferkettengesetz abmontiert, fordert der neue Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer sogar noch stärkere Abschwächungen des Vorhabens.

Auch bei der Paralleljustiz für Konzerne bleibt die Regierung klare Positionierungen schuldig. Das System der Sonderklagerechte von ausländischen Konzernen (ISDS) muss endlich beendet und Österreichs Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag endlich beschlossen werden. Im Regierungsprogramm ist dazu nichts zu finden.

Die aktuell von der EU vorangetriebene, neoliberale Handelspolitik stellt strategische Interessen der EU und europäischer Konzerne vor den Schutz von Menschen und Klima. Nur ein Bruch mit dieser neoliberalen Logik, ein Umdenken in Richtung globaler Solidarität und Regionalisierung der Wirtschaft könnte tatsächlich ein gutes Leben für alle ermöglichen.

Kapitalmärkte weiter aufblasen?

Das Regierungsbekenntnis für eine Stärkung der Kapitalmärkte ist hochproblematisch. Ein übergroßer Finanzsektor verursacht Blasen und Krisen und ist nicht die Basis eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems. Hinter Klausulierungen wie Vorsorge für junge Menschen auch für Wertpapiere (z.B. ETF-Sparpläne) verbergen sich die Interessen der Finanzkonzerne und Lobbys, die Zugang zu neuen Zielgruppen suchen.

Auch die Ausweitung privater Pensionsvorsorge und das Schlechtreden des öffentlichen Pensionssystems dient den Interessen von Finanzkonzernen. Den Plänen, dass der Staat öffentliches Geld für die profitorientierte Vorsorge (sog. 2. und 3. Säule) zuschießen soll, sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Positiv zu vermerken ist zumindest die Absichtserklärung für eine starke, unabhängige Finanzaufsicht.

Klimaschutz im Rückwärtsgang

Die Bundesregierung bekennt sich einerseits zu den europäischen Zielen “Klimaneutralität bis 20240”, bleibt aber bei der konkreten Umsetzung vage und widersprüchlich. Das beginnt bei der Abschaffung des Klimaministeriums und endet mit Unklarheit beim Ende fossiler Subventionen.

Anstatt konkreter Maßnahmen für den sozial-ökologischen Umbau wird lediglich auf eine Steuerungsgruppe zwischen den Ministerien verwiesen. Klimafreundliche Förderungen sollen sogar verringert oder gestrichen werden – etwa beim Heizkesseltausch oder bei Photovoltaik. Ausführlich werden hingegen Pläne für technologische Scheinlösungen gelistet. Förderungen für öffentlichen Verkehr (Regional und Privatbahnen) werden gekürzt, klimaschädliche Förderungen dafür beibehalten (Diesel, Dienstwägen) und die Pläne für den Bau des Lobau-Tunnels wieder aufgegriffen.

Konkrete Ausstiegspläne aus der fossilen Wirtschaft, gerechte Transformationspläne, Investitionen für den Umbau, demokratische Mitgestaltung der Betroffenen und sanktionierbare Ziele – von alledem ist nichts im Programm zu finden.

Energie: Stückwerk aus Marktlogik und Konzerninteressen

Die österreichische Energiepolitik bleibt ein Stückwerk aus Marktlogik und Konzerninteressen. Während der Ausbau erneuerbarer Energien betont wird, fehlen klare Maßnahmen zur Beendigung fossiler Subventionen und gegen steigende Energiepreise. Statt mutiger Schritte in Richtung einer gerechten Energiewende wird auf komplexe Marktmechanismen und fragwürdige Infrastrukturprojekte gesetzt.

Die neue Bundesregierung bekennt sich zu einem „Einsatz“ für eine Überarbeitung des Preisbildungsmechanismus „Merit-Order“. Was dieser Einsatz bedeutet und ob eine Überarbeitung zu einer tatsächlichen Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis führt, bleibt offen. In der Vergangenheit war die Kritik an Merit-Order selbst von Ursula von der Leyen geäußert worden, doch eine ganzheitliche Reform blieb aus.                

Die Regierung schlägt zwar immerhin einen Sozialtarif für von Energiearmut betroffene Haushalte vor, dieser ist jedoch nur Symptom-lindernd. Echte Alternativen wie die Förderung von Wärmepumpen oder Lösungen für Menschen, die zur Miete wohnen, fehlen.

Laut Programm sollen Energieunternehmen zwar „das öffentliche Interesse an leistbarer Energie wahren“, konkreter wird es dazu aber nicht. Mischkonzerne wie der Krisenprofiteur OMV sind davon ausgenommen. Eine Gemeinnützigkeit wie beim Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz ist nicht angedacht.

Die Bundesregierung setzt weiter auf Gas und auf Wasserstoff, eine teure und ressourcenintensive „Alternative“, statt fossile Abhängigkeiten konsequent zu beenden und günstigere und saubere erneuerbare Energieträger zu fördern. Auch der Rechnungshof bemängelt in einem aktuellen Bericht, dass die österreichische Energiewende unzureichend vorbereitet sei. Die mangelnde Transparenz bei den Kosten, die unzureichende Koordination zwischen Bund und Ländern sowie die unklaren Flächenverfügbarkeiten würden die Energieziele gefährden.

Wir fordern eine echte Energiewende, hin zu demokratischer Planung und öffentlicher Kontrolle über die Energieversorgung. Statt Greenwashing braucht es soziale Gerechtigkeit in der Tarifgestaltung und massive Investitionen in ein dezentrales, demokratisches Energiesystem.

Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft ohne Zeitplan und Vorgaben

Obwohl sich die neue Regierung klar zur Ressourcenschonung bekennt und Unabhängigkeit von Ressourcenimporten erreichen möchte, bleibt sie unkonkret und vage bei Umsetzung, Zeitplänen und Evaluierung. Eine tatsächliche Senkung des Ressourcenverbrauchs und sozial ökologische Ziele lassen sich so kaum umsetzen.

Ein Beispiel: Die “Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Analyse von Sekundärrohstoffen” wird ohne klare Indikatoren oder Zielgrößen angekündigt. Auch bei der grundsätzlich positiven Förderung von Reparaturdienstleistungen und Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung fehlen detaillierte Maßnahmen und zeitliche Vorgaben. Ohne klare finanzielle Anreize oder gesetzliche Vorgaben werden die Ankündigungen wirkungslos bleiben. Auch die geplante Kontrolle großer Online-Plattformen bei der Einhaltung der produkt- und abfallrechtlichen Vorschriften bleibt Details zu Umsetzung und Durchsetzung schuldig. 

Wohnen und Soziales mit Licht und Schatten

Ein positiver Schritt ist die geplante Mietpreisbremse: Sie ist vorerst auf Kategoriemieten, Richtwertmieten und Mieten in gemeinnützigen Wohnbauten beschränkt, die angedachte Ausweitung bis 2028 könnte tatsächlich tiefergreifend strukturelle Verbesserungen bringen.
Eine Zweckwidmung der Wohnbauförderung ist sinnvoll, ihre Ausfälle durch die Mietpreisbremse sollten zumindest kompensiert werden. Auch die angekündigte Kindergrundsicherung ist ein positives Signal, bleibt jedoch noch völlig vage.

Auf der anderen Seite will die Regierung die Zuverdienstmöglichkeiten bei Arbeitslosigkeit einschränken. Die Folge ist in jedem Fall eine steigende Armutsgefährdung und schlechtere Wiedereinstiegschancen für immer mehr Arbeitslose. Die Bildungskarenz hingegen wird sofort gänzlich abgeschafft und soll irgendwann reformiert wieder kommen.

Die Sozialhilfe soll reformiert und vereinheitlicht werden. Eine Anrechnung der Familienbeihilfe auf die Sozialhilfe würde Sozialhilfeempfänger*innen jedenfalls schlechter stellen als Familien mit Erwerbseinkommen. Besonders problematisch und ohne hin rechtswidrig ist die geplante Wartefrist. Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte sollen während einer bis zu drei Jahre dauernden „Integrationsphase“ keine Sozialhilfe mehr erhalten, sondern lediglich eine "Integrationsbeihilfe". Abgesehen von Verstoß gegen EU-Recht droht damit noch mehr Armut – mit all ihren Folgeproblemen.

Aufrüstung oder aktive Friedenspolitik?

Angesichts der sich zuspitzenden geopolitischen Weltlage brauchen wir eine aktive Friedenspolitik im Sinne einer engagierten Neutralität. Das Regierungsprogramm bekennt sich zu internationalen Institutionen, die Kooperation statt Krieg stärken sollen. Konkrete Vorschläge zu einer Stärkung der internationalen Diplomatie und Kooperation kommen jedoch zu kurz, Ideen für eine globale friedliche Weltordnung fehlen.

Hingegen soll das Budget für Landesverteidigung auf 2 Prozent des BIP angehoben und das Bundesheer vergrößert werden. Laut dem „Aufbauplan 2032+“ des BHs sind Rüstungsausgaben von 17 Milliarden Euro (!) bis 2032 vorgesehen, zusätzlich zu den laufend steigend BH-Ausgaben von 3,7 Milliarden (2024), 4,2 Milliarden (2025), usw. Hingegen ist wenig Konkretes für friedensfördernde Maßnahmen, wie Anregung von neuen Abrüstungsverhandlungen, Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit, zur Umsetzung des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) oder internationale Klimazusammenarbeit vorgesehen.

Schluss: Rechtsruck und zunehmende Menschenfeindlichkeit bremsen

Attac misst JEDE Regierung daran, wie sehr ihre Politik dazu dient, unser grundlegendes Ziel zu verwirklichen: Ein gutes Leben für alle – heute und zukünftig lebenden – Menschen.

Budgetkrise, Teuerungen, Energie- und Klimakrise, (Handels-)Kriege und die Demokratiekrise erfordern eine gerechte globale Umverteilung von materiellen und finanziellen Ressourcen, massive Investitionen in den klimasozialen Umbau, eine Neuausrichtung der internationalen Handelspolitik sowie eine aktive Friedenspolitik. Die dafür nötigen großen Schritte setzt die neue Regierung jedoch unterm Strich nicht.

Nur eine Politik, bei der Menschen eine reale Verbesserung in ihrem Alltag spüren, kann den Rechtsruck und zunehmende Menschenfeindlichkeit bremsen. Dafür werden uns weiter einsetzen.