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ATTAC fordert Bundespräsident zu transparenter Entscheidungsfindung in Sachen Fiskalpakt auf

Bundespräsident soll alle Gutachten in Sachen Fiskalpakt veröffentlichen

Der Bundespräsident ist nach Auffassung von Attac gemäß der Bundesverfassung nicht befugt, den Fiskalpakt zu unterzeichnen, solange die schwerwiegenden Argumente, dass der Fiskalpakt verfassungswidrig zustande gekommen ist, nicht eindeutig widerlegt sind.

Der Brieftext im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Wir begrüßen es sehr, dass Sie in der Pressestunde öffentlich angekündigt haben, nicht unter Zeitdruck zu entscheiden, ob der Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt) verfassungsmäßig zustande gekommen sei oder nicht. Da es um einschneidende Änderungen für Österreich und Europa geht, braucht es in der Tat eine „hieb- und stichfeste“ Vorgangsweise.

Sie legten in der Pressestunde nahe, dass Sie, wenn seriöse Pro- und Kontraargumente vorliegen, die Entscheidung dem Verfassungsgerichtshof überlassen. Wir schließen daraus, dass Sie in dem diesem Fall unterschreiben würden.

Der entscheidende Punkt ist nunmehr, ob und welche seriösen Pro- und Kontraargumente vorliegen. Wir möchten Sie deshalb im Sinne der Transparenz und Rechtssicherheit ersuchen, dass Sie die Ihnen vorliegenden Gutachten öffentlich machen. In einer für unser Verfassungsgefüge derart essentiellen Frage erscheint es wichtig, dass alle ExpertInnen und auch die Öffentlichkeit Zugang zu den Entscheidungsgrundlagen haben. Sie wissen besser als wir, dass eine nachträgliche Feststellung des verfassungswidrigen Zustandekommens durch den Verfassungsgerichtshof Österreich in eine Verfassungskrise stürzen würde, da Österreich in diesem Falle innerstaatlich den Fiskalpakt nicht anwenden dürfte, aber völkerrechtlich im Außenverhältnis weiter daran gebunden wäre. Daher ist es von größter Bedeutung, dass Sie diese Frage transparent und umfassend beurteilen.

Aus den öffentlich verfügbaren Materialien lässt sich nicht ableiten, dass es seriöse Pro-Argumente gäbe, die auf einer umfassenden Prüfung beruhen und die sich mit den schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich des verfassungskonformen Zustandekommens auseinandersetzen. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Fiskalpaktes gehen auf die schwerwiegenden Verfassungsprobleme gar nicht ein. Daher ist anzunehmen, dass es darüber hinausgehende Unterlagen geben muss, wenn Sie in der Pressestunde von positiven Gutachten des Verfassungsdienstes und des Völkerrechtsbüros sprechen. Wir warten mit Spannung auf die Veröffentlichung dieser Gutachten, um die Argumentation nachvollziehen zu können, warum der Fiskalpakt keine verfassungsändernden Inhalte habe bzw. nicht materiell als Europarecht einzustufen sei.

Der einzige uns bekannte Artikel, der zum Schluss kommt, dass der Fiskalpakt - mit einigen Vorbehalten - verfassungskonform wäre, wurde von Claudia Mayer im Journal für Rechtspolitik publiziert. Dieser Artikel übersieht so offensichtlich wesentliche Aspekte, dass er unserer Auffassung nach nicht als umfassende Begründung einer Verfassungskonformität herangezogen werden kann. Abgesehen davon sind uns keine seriösen Gutachten bzw. Veröffentlichungen bekannt, die die Auffassung stützen, dass der Fiskalpakt verfassungskonform zustande gekommen wäre.

Das Gutachten von Prof. Griller über die Verfassungskonformität des Fiskalpaktes hingegen kommt in einer umfassenden Prüfung eindeutig zum Schluss, dass der Fiskalpakt mehrere verfassungsändernde Bestimmungen enthält. Es ist uns keine Arbeit bekannt, die bezüglich all der von Prof. Griller aufgeworfenen Punkte klar und eindeutig argumentiert, wie all diese Aspekte mit der österreichischen Verfassung vereinbar wären.

Wir ersuchen Sie im Sinne Ihres Verantwortungsbewusstseins für Österreich und für Europa daher nochmals eindringlich darum, alle Gutachten, die Sie zur Entscheidungsfindung heranziehen, umgehend – und insbesondere vor der endgültigen Entscheidung – zu veröffentlichen. Nur so wäre eine transparente und hieb- und stichfeste Entscheidungsfindung gewährleistet.

Solange die schwerwiegenden Argumente, dass der Fiskalpakt verfassungswidrig zustande gekommen ist, nicht eindeutig widerlegt sind, können Sie als Bundespräsident – nach unserer Rechtsauffassung – gemäß Bundesverfassung das verfassungsgemäße Zustandekommen des Vertrages nicht beurkunden. Wir ersuchen Sie nochmals im Sinne des Rechtsstaates Österreich eindringlich, Ihre Unterschrift nicht unter den Fiskalpakt zu setzen!

Mit besten Grüßen,

Elisabeth Klatzer
f.d. Vorstand von Attac Österreich