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Marlene Engelhorn im Interview: „Ich würde mich sehr freuen, wenn es mich nicht mehr braucht.“

Marlene Engelhorn wird bald einen Millionenbetrag erben. Gemeinsam mit anderen Millionär*innen setzt sie sich mit der Initiative „taxmenow“ dafür ein, Vermögen angemessen zu besteuern. Im Attac-Interview spricht sie auch über ihre persönliche Motivation und Vision.

David Walch: Wie kommt eine Millionenerbin dazu sich für Steuergerechtigkeit einzusetzen?

Marlene Engelhorn: Es war ein kontinuierliches Wirken und eine Auseinandersetzung mit mir und wie ich zur Gesellschaft stehe. Es mag absurd klingen, aber es war für mich eine Überforderung, in eine überreiche Familie geboren worden zu sein. Gespräche mit Menschen, die in einer ähnlichen Situation waren, haben dazu beigetragen, dass ich sinnvoller über strukturelle Zusammenhänge nachdenken konnte.

DW: Es war gar nicht so schwer Leute zu finden, denen es ähnlich gegangen ist?

ME: Über das offene Sprechen über meine inneren Konflikte habe ich Leute kennengelernt. Und irgendwann fällt der Groschen: Moment, es gibt ja schon eine Möglichkeit, Geld, das man unrechtmäßig hat, an die Gesellschaft zu geben – und zwar auf eine legitimierte demokratische Art und Weise. Steuern! Ich werde nicht angemessen besteuert und mache daher mein privates Problem zu einem öffentlichen – weil es nämlich genau das ist. Steuern zahlen zu wollen ist nicht abwegig oder bescheuert. Im Gegenteil, es ist absolut pro Gesellschaft.

DW: Ist aus deinen persönlichen Kontakten auch die Initiative „taxmenow“ entstanden?

ME: Ein paar dieser Menschen sind wie ich in der AG Steuergerechtigkeit der deutschen Bewegungsstiftung aktiv. Wir haben beschlossen einen Appell zu formulieren, weil wir einen privilegierten Zugang zu Leitmedien haben. Der Launch war im Juni 2021 und wir waren alle sehr aufgeregt. Und dann ging dieser Medienrummel los ...

DW: Wird damit die „Stimme des Geldes“ nicht wieder überrepräsentiert? Es gibt ja viele, die sich für das Thema einsetzen.

ME: Ja, ich finde diesen privilegierten Zugang zu Medien sehr problematisch. Einerseits ist es gut, dass man um dieses Thema nicht herumkommt. Aber warum fragt man mich? Nur, weil ich „vermeintlich“ betroffen bin? Bei „taxmenow“ versuchen wir daher auch, dass andere Initiativen Sichtbarkeit bekommen, die am Thema arbeiten.

DW: Aber ihr tretet nicht für konkrete Steuermodelle ein.

ME: Es ist ein Unfug, dass die Reichen den anderen erklären, wie man Reiche zu besteuern hat. Es gibt bereits Modelle. Können wir die diskutieren anstatt Neues auszudenken?

DW: Wie ist deine Meinung zum Corona-Lastenausgleich von Attac?

ME: Was die Besteuerung von Vermögen angeht, bin ich nach oben offen.

DW: Eine klassische Rolle der Reichen ist die der Wohltäter*innen. Warum ist Spenden für dich zu wenig?

ME: Spenden hat sehr viel damit zu tun, ein Problem wegklicken zu wollen. Es vernachlässigt, dass Dinge strukturell verknüpft sind. Es reicht aber nicht, darauf zu hoffen, dass überreiche Menschen ihr Geld dafür hergeben, die Welt zu retten. Auf ihren guten Willen kann man sich nicht verlassen. Worauf kann man sich verlassen? Dass die Steuerbehörde anklopft, wenn Steuern zu zahlen sind.

DW: Man könnte auch beim Ursprung der Ungleichheit ansetzen.

ME: Ich würde natürlich am liebsten dort ansetzen, wo sie entsteht, bei der Ressourcenverteilung. Diese Primärverteilung anders zu gestalten ist wichtig, aber da gehöre ich nicht hin. Ich habe mit Unternehmen und der Arbeiter*innenbewegung nichts zu tun. Ich kann sie unterstützen und solidarisch sein. Aber ich kann für sie nicht sprechen.

Steuergerechtigkeit löst das Problem nicht an der Wurzel, aber sie kann helfen, Dinge auszugleichen und Geldflüsse in demokratisch legitime Bahnen zu lenken – und zwar nicht nach einem Verteilungssystem, das auf persönlicher Wertung beruht wie beim Spenden. Bei Steuern haben wir – rein prinzipiell gesehen – die Möglichkeit einer öffentlichen Debatte.

DW: Die Frage, wie Reichtum besteuert wird, ist also auch für die Demokratie relevant?

ME: Das ist der wichtigste Punkt. Reichtum ist Macht. Privatpersonen besitzen mehr Macht als ganze Staaten. Wir können nicht erlauben, dass Menschen sich Einfluss einfach kaufen können. Wir wollen Demokratien und nicht Monarchien oder Autokratien. Punkt.

DW: Auch beim Thema Steuern geht es nicht nur darum, wer das bessere Argument hat, sondern wie Vermögende ihren Einfluss und ihre Netzwerke diskret in politische Macht umsetzen.

ME: Ja, diese Netzwerke gib es. Es fängt damit an, dass man die Kids in Eliteschulen, ins Internat nach England und danach in Privatuniversitäten steckt. Nicht weil die Kinder so gescheit sind, sondern weil die Elite sich das leisten kann. Dann machen sie Karriere und plötzlich haben sie Einfluss und Macht. Wenn man reich ist, kriegt man das eigentlich so: *schnipp*. Grundsätzlich ist nichts verkehrt daran, wenn man einander unterstützt, absichert und aktiviert. Schwierig ist es, wenn man das exklusiv gestaltet. So gesehen ist die überreiche Gesellschaft die problematischste Parallelgesellschaft, die wir haben.

DW: Ökonomisches Kapital übersetzt sich also in soziales und symbolisches Kapital?

ME: Auf jeden Fall. Die entscheidende Frage ist: Sind die Netzwerke transparent? Sind sie es nicht, wird Macht und Einfluss ohne demokratische Legitimität ausgeübt. Das ist zwar verständlich, weil man nicht jedes Mal seine Selbstverständlichkeit, seinen Status und Standpunkt hinterfragen muss, wenn man unter sich bleibt. Aber es ist halt auch gefährlich, weil wir in einer Gesellschaft über den eigenen Tellerrand blicken müssen. Deswegen ist es wichtig, öffentliche Strukturen durch staatliche Investitionen zu stärken – wie zum Beispiel das Bildungs- und Gesundheitssystem. Damit sich dort Menschen begegnen, die miteinander nicht viel gemeinsam haben.

DW: Die Ungleichheit steigt – trotzdem geht nicht einmal bei einer Mini-Vermögensteuer von 1-2 Prozent etwas weiter. Warum gibt es da keinen größeren gesellschaftlichen Aufschrei?

ME: Ich glaube, es fehlt einerseits die Datenlage – und das in einer Gesellschaft, wo wir über alles Bescheid wissen, nur über die Reichen nicht. Es fehlt das Bewusstsein, dass ein Prozent fast 50 Prozent des Vermögens hat. Wir brauchen auch eine Debatte, die nicht in einem langweiligen Kleinklein über Prozentsätze bleibt. Wie viel ist genug? Wie viel ist zu viel? Wie wollen wir teilen? Wer darf das entscheiden? Wir brauchen Grundsatzfragen, denn die können alle beantworten.

DW: Bei vielen Menschen löst eine Erbschaftssteuer starke Abwehrreaktionen aus. Warum?

ME: Erben ist für viele ein Beziehungsfaktor. Ganz oft wird ja vererbt, um jemanden abzusichern, man fühlt sich also umsorgt. Menschen arbeiten nicht nur für sich selbst, sondern auch um zu sagen: „Hey! Das ist für euch, damit ihr es nicht so schwer habt am Anfang.“ Diese Beziehung durch eine gesichtslose öffentliche Hand angegriffen zu sehen, macht Angst.

DW: Wie begegnest du dem?

ME: Die Menschen müssen verstehen, dass man nicht jenen etwas wegnimmt, die sich ein bisserl was geschaffen haben. Die Nutzung des Eigenheims – zum Beispiel – fällt raus, Punkt. Alles, was unter einem gewissen Nettovermögen ist, fällt raus. Man muss auch erklären, was eine Freigrenze ist. Dass also für eine Million und einen Euro nur ein Euro besteuert wird. Erbschafts- und Vermögensteuern sollte man ganz bewusst als etwas verstehen, was politische Macht beschneidet. Jene mit exorbitantem Reichtum dürfen nicht die Macht behalten, um die Gesellschaft zu gestalten, ohne die Gesellschaft einzubeziehen. Dass das den Staatshaushalt mitfinanzieren kann, ist ein super Bonus.

DW: Aus der Sicht der Staatsbürgerin: Wie sollte der Staat das Geld ausgeben?

ME: Auf jeden Fall für eine sinnvolle Gestaltung des Sozialstaats. Und man darf die Strukturen nicht außer Acht lassen. Ein Sozialstaat, der wirklich gut funktioniert und Armut abschafft, muss gleichzeitig Überreichtum abschaffen. Er nimmt sich damit ja nur das zurück, was durch einen Verteilungsfehler weggenommen wurde.

DW: Wenn alles so läuft, wie du es dir wünschst: Was ist deine Vision?

ME: Ich stelle mir eine Welt vor, in der Vertreter*innen aller Interessensgruppen verhandeln, was das „gute Leben für alle“ bedeutet. Und zwar nicht, um einander zu werten. Und ohne den Anspruch absoluter Deutungshoheit. Je mehr Menschen, Antworten und Perspektiven mitmachen, desto eher kriegen wir das gemeinsam hin. Das ist zwar mühsam, aber wichtig und niemand hat gesagt, dass es einfach wird.

DW: Das ist sehr ein harmonisches Bild davon, wie die Dinge sich verändern. Wenn man zurückblickt, wurden viele Fortschritte in sozialen Kämpfen erreicht.

ME: Das stimmt. Aber ich habe eine Vision, dass sich beide Seiten auf ein gemeinsames Ziel – ein gutes Leben für alle – einigen können. Jeder Mensch kennt den ersten Satz aus Martin Luther Kings Rede: „I have a dream“. Was wirklich greift, das ist die Utopie. Das ist ja auch das Großartige an Verfassungstexten oder der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Da steht nicht drin, wie man es macht. Sondern was unser Ziel ist und gleichzeitig unsere Prämisse.

DW: Was machst du, wenn Vermögen aller Art einmal demokratisch angemessen besteuert wird?

ME: Zuerst feiere ich mit meinen Freund*innen. Aber eigentlich bin ich wahnsinnig langweilig, und ich glaube, ich werde dann wieder mehr zu einem Bücherwurm. Idealerweise ist mein Vermögen dann so besteuert, dass ich mich – so wie alle anderen auch – in die Erwerbsarbeit einbringen kann. Ich würde mich sehr freuen, wenn es mich nicht mehr in irgendwelchen komischen Talkshows braucht.