Der überbordende Einfluss von Konzernen auf politische Prozesse und die Gesetzgebung in der EU und Europa ist in vielen Fällen zum Normalzustand geworden und bedroht das Gemeinwohl und die Demokratie. Das Ergebnis sind Gesetze, die öffentliche Güter wie saubere Luft, sauberes Wasser, erneuerbare Energien, heimische und nachhaltige Landwirtschaft sowie soziale Sicherheit und Arbeitnehmerrechte in Gefahr bringen.
Davor warnt der Bericht „Gekaperte Gesetzgebung“ (Corporate Capture), der heute von ALTER-EU (Allianz für Lobbying Transparenz und Ethik Regeln in der EU) veröffentlicht wird. ALTER EU ist eine Koalition von über 200 öffentlichen Interessengruppen und Gewerkschaften aus ganz Europa, darunter auch Attac Österreich.
Die immense Macht und der überbordende politische Einfluss von Konzernen hat viele Gesichter. Lobbying, häufige Seitenwechsel zwischen Wirtschaft und Politik, der strategische Einsatz von "Expertise", der privilegierte und oftmals intransparente Zugang zu PolitikerInnen oder Drohungen, Standorte in Länder mit schwächerer Regulierung zu verlagern – all diese Vorgänge führen dazu, dass politische EntscheidungsträgerInnen die Profitinteressen von Konzernen über öffentliche Interessen stellen. Diese Vorgänge sind oftmals nicht verboten, jedoch ethisch fragwürdig und untergraben die Demokratie. Die EU-Politik ist dabei auch aufgrund geringerer öffentlicher Kontrolle besonders anfällig für eine „gekaperte Gesetzgebung“.
Der Bericht enthält acht Fallstudien zu den Bereichen Banken, Handelspolitik, Gas-Industrie, Steuerpolitik, Pharma-Industrie, Datenschutz, Rüstungsindustrie und Automobilindustrie aus der EU und den Mitgliedstaaten. In all diesen Fällen war der politische Einfluss der Konzerne so groß, dass man von gekaperter Gesetzgebung sprechen muss. Beispiele dafür sind:
● Die Finanzpolitik (EU-Ebene): der Bankensektor hat es weitgehend geschafft, strengere Regulierungen zu verhindern, obwohl er für eine gigantische Finanzkrise mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen verantwortlich ist. So sind weiterhin Megafusionen von Banken erlaubt und das „Too-big-to-fail“- Problem wurde auf die lange Bank geschoben.
● Die Sicherheitspolitik (EU-Ebene): die Rüstungsindustrie legt zunehmend die Agenda und Ziele der Verteidigungsprogramme der EU fest. Die fortschreitende Militarisierung der EU gewährleistet die öffentliche Finanzierung ihres tödlichen Geschäfts, mit dem Argument der nationalen Sicherheit geschehen die Prozesse häufig verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit.
● Die Emissionspolitik: Nach dem Diesel-Abgasskandal hat die deutsche Automobilindustrie es geschafft, beinahe ohne politische Konsequenzen aus dem größten Betrug ihrer Geschichte hervorzugehen. Die deutsche Bundesregierung hat nicht nur auf nationaler Ebene dafür gesorgt, dass die Verbraucher nicht entschädigt werden – sie hat auch auf EU-Ebene regulatorische Folgen verhindert.
● Die Unternehmensbesteuerung (Niederlande): Shell und Unilever haben die Pläne zur Besteuerung von Dividenden in den Niederlanden erfolgreich torpediert.
ALTER- EU fordert daher:
● Politische Beteiligungsverfahren müssen geöffnet und demokratisiert werden.
● Effektive und unabhängig kontrollierte Regeln für ethisches Verhalten und Interessenkonflikte sowie Transparenz über finanzielle Interessen, Nebenjobs, Seitenwechsel, die Annahme von Geschenken und Einladungen.
● Ein rechtsverbindliches und transparentes Lobbyingregister auf nationaler und EU-Ebene.
● Informationsfreiheit um politische Entscheidungsprozesse im Detail und zeitnah nachzuvollziehen und zu beurteilen zu können.
● Eine klare Trennung zwischen Regulierern und Regulierten wenn Interessen der Wirtschaft und der Allgemeinheit unvereinbar sind. (Beispiel Raucherschutz).
● Obergrenzen und volle Transparenz bei Parteienfinanzierung.
Alexandra Strickner von Attac Österreich erklärt: „Ein Beispiel für den gefährlichen Einfluss der Konzerne ist das vehemente Eintreten der politischen Eliten für Handelsabkommen wie TTIP und CETA. Diese Abkommen schränken nicht nur politische Handlungsspielräume ein. Sie geben Konzernen mittels einer exklusiven Paralleljustiz die Macht, ihre Profitinteressen über demokratische Entscheidungen zu stellen. Wenn wir den Einfluss von Konzernen reduzieren wollen, müssen wir diese Abkommen verhindern und verpflichtende Regeln für Konzerne zur Einhaltung von Menschenrechten einführen.“
Claudio Cesarano, Koordinator von ALTER-EU erklärt: "Dieselgate und die fehlende Regulierung der Finanzindustrie nach dem Crash haben deutlich gezeigt, dass der Einfluss der Konzerne über einfaches Lobbying hinausgeht. Ihre enorme Macht ist eine leider allzu häufige Bedrohung für das öffentliche Interesse, die soziale Sicherheit, die Umwelt und die öffentliche Gesundheit."
Nina Katzemich, von der ALTER-EU-Mitgliedsorganisation Lobbycontrol, fügte hinzu: "Die Wahlen zum EU-Parlament sind ein guter Zeitpunkt, den Kampf gegen überbordende Macht der Konzerne auf die politische Agenda zu setzen. Mehr Transparenz und strengere Ethikregeln sind wichtig, aber letztendlich brauchen wir einen radikalen Wandel in der Art und Weise, wie politische Entscheidungsträger auf allen Ebenen mit Unternehmen umgehen. Die Bedürfnisse und Anforderungen der BürgerInnen müssen absolute Priorität haben."
Hinweise für Medien:
Eine deutsche Kurzfassung mit einer kleinen Auswahl der Fallbeispiele hier.
Druckexemplare sind auf Anfrage erhältlich.
Kontakt:
● Claudio Cesarano, Koordinator von ALTER-EU, +32 2 8931062, coordinator @alter-eu.org
● Nina Katzemich, LobbyControl, +49 179 5093022, nina.katzemich @lobbycontrol.de
● David Walch, Attac Österreich, +43 1 544 00 10, presse@attac.a