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Weltwirtschaftsforum versus Weltsozialforum

Hintergrundtext von ATTAC Österreich zu Porto Alegre und New York 2002

Vom 31. Jänner bis 5. Februar finden parallel in New York das World Economic Forum (WEF) und in Porto Alegre im Süden Brasiliens das Weltsozialforum (WSF) statt. Das Weltsozialforum wurde voriges Jahr ins Leben gerufen, um einerseits "von unten" und andererseits aus dem Süden zivilgesellschaftliche Alternativen zur gegenwärtigen Form der Globalisierung ­ der neoliberalen, konzerngetriebenen Globalisierung ­ zu entwickeln. Schon das erste Weltsozialforum war ein voller Erfolg: 15.000 Personen nahmen an dem Mega-Globalisierung-Event teil. Die Polizei war in Porto Alegre arbeitslos ­ im Gegensatz zum Schweizer Davos, wo das größte Aufgebot seit dem 2. Weltkrieg mobilisiert wurde. Das Ergebnis: Das WEF ist von Davos nach New York ausgewandert, mit der offiziellen Begründung der Solidarität mit den Opfern des 11. September, aber das bürgerkriegsähnliche Szenario in der Schweiz hat sicher auch sein Schäuflein dazu beigetragen. (Im sommerlichen Porto Alegre herrschte Volksfeststimmung.)

Porto Alegre II

Dass Porto Alegre II die Premiere bei weitem übertreffen wird, steht jetzt schon fest: 50.000 Menschen aus 120 Ländern werden erwartet. Damit stellt der Sozialgipfel den Managergipfel zumindest personell weit in den Schatten. Auch inhaltlich geht es in Brasilien um ein etwas breiteres wirtschaftspolitisches Spektrum als in New York. Während man sich in den USA überlegt, ob eine globale "Just-in-time-Produktion" möglich ist, überdenkt man in Porto Alegre die globalen Finanzmärkte, das globale Handelsregime, die zentralen internationalen Institutionen IWF, Weltbank und WTO, um sie allesamt in den Dienst der Menschen und einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung zu stellen.

Der inhaltliche Bogen

Besonders spannend: Zwei der tragenden Organisationen, das 1992 gegründete und bereits in 37 Ländern operierende Netzwerk "Via Campesina" ("Der Weg der Bauern") und das sich seit 1998 ausbreitende Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte ATTAC, bisher in 35 Ländern aktiv, führen thematisch die Basis der Wirtschaft, die Landwirtschaft (in diesem Fall kleinteilig, biologisch und gentechnikfrei) mit der Gestaltung der internationalen Finanzmärkte plus globaler Steuergerechtigkeit zusammen. Rundherum: 700 Workshops zu 26 Themenbereichen. Die Diversität, in der Natur besonders Regenwäldern und Korallenriffen zu eigen, wird als Stärke des "Volkes von Porto Alegre" gesehen.

Wer kommt nach Porto Alegre?

Nicht weniger als 2000 Graswurzel-Bewegungen, NGOs und Netzwerke aus aller Welt sind angemeldet. Indische FischerInnen, afrikanische KleinbäuerInnen, UreinwohnerInnen aus Zentralamerika, FinanzmarktarchitektInnen aus Europa, WTO- und IWF-KritikerInnen aus Südostasien, Landlose aus der Umgebung Porto Alegres, GewerkschafterInnen aus zahlreichen Ländern, MenschenrechtsaktivistInnen und natürlich die "Promis" der globalisierungskritischen bzw. globalisierungsgestaltenden Bewegung: Noam Chomsky, prominenter US-Kritiker, Vandana Shiva, Ökofeministin und Alternativnobelpreisträgerin aus Indien, Maude Barlow vom kanadischen BürgerInnenkongress, die Anwältin Lori Wallach aus den USA, der ägyptische Intellektuelle Samir Amin, Martin Khor vom Third World Network aus Malaysia oder Susan George (Vizepräsidentin) und Bernard Cassen (Präsident) von ATTAC Frankreich. Neu dabei: Greenpeace International-Direktor Gerd Leipold, der sich voriges Jahr noch Davos mit den "global leaders" traf, der aber heuer demonstrativ umgebucht hat, um nicht als Feigenblatt für dialoghungrige, aber tatenlose Konzerne herzuhalten. EGB-Präsident Fritz Verzetnitsch hat nach New York gebucht, während eine 10-köpfige Gewerkschaftsdelegation frische Impulse aus Porto Alegre für den ÖGB bringen will .

Guy Verhofstadt ­ ein Fall für sich

Besonders pikant: Der belgische Ministerpräsident und soeben aus dem Amt geschiedene EU-Ratsvorsitzende Guy Verhofstadt, der noch im September in einem in 73 Tageszeitungen abgedruckten Brief die "Globalisierungsgegner" sinngemäß gefragt hatte: ?Was wollt ihr eigentlich¹, der einem "wichtigen Teil" von ihnen vorwarf, "mit der extremen Rechten zu flirten" und der die erstaunliche Behauptung aufstellte, dass "jedes Prozent Marktöffnung eines Landes seiner Bevölkerung ein Einkommenswachstum um ein Prozent" beschert", hat angekündigt, Porto Alegre einen Blitzbesuch abzustatten.

Neoliberale Globalisierung gescheitert

Um zu lernen? Um zuzugeben, dass seine Theorie zumindest an der Realität Argentiniens gescheitert ist? Argentinien galt stets als neoliberaler Musterschüler, als Liebkind des Währungsfonds, als Privatisierungs-Champion und Meister der Marktöffnung. In der Folge stiegen jedoch nicht die Einkommen, sondern die Arbeitslosen- und Armutsquoten. Dass Argentinien kein Einzelfall ist, gab unlängst sogar die Weltbank in einer Studie zu, in der sie 49 Globalisierungsverliererländer gegenüber 24 Gewinnerländern identifizierte. Zu den Gewinnern zählte Mexiko, trotz des Umstands, dass die realen Mindestlöhne heute um zwei Drittel niedriger liegen als 1980.

Gegenmodell im Kommen

Während aber in Argentinien keine soziale oder politische Kraft vorhanden ist, um ein Gegenmodell zum Neoliberalismus umzusetzen, könnte dies in Brasilien schon sehr bald der Fall sein, zumindest wenn die Arbeiterpartei PT, die sowohl in der "Landeshauptstadt" Porto Alegre als auch im "Bundesland" Rio Grande do Sul regiert, die Bundeswahlen gewinnt. Denn die PT würde nicht nur die gesamtamerikanische Freihandelszone (FTAA) durch den Austritt Brasiliens zunichte machen, sie hat auch angekündigt, alle Steuervorteile des ausländischen Kapitals zu beseitigen, Devisentransaktionen zu besteuern und das Heil nicht im exzessiven Export zu suchen, sondern in der Fokussierung auf den Binnenmarkt: "Wir haben 250 Millionen Menschen in Brasilien, die produzieren, konsumieren und sparen können", hat es vor kurzem ein PT-Parlamentarier formuliert. Dennoch hat es die PT nicht leicht. Terror seitens der Paramilitärs hat eingesetzt. Im Großraum Sao Paolo, einer PT-Hochburg, wurden bereits einige Bürgermeister ermordet. Aus Washington kommt keine Terrorwarnung.

Terror und der 11. September

Im Gegenteil, New York ist an einer Aufrechterhaltung der neoliberalen Ordnung interessiert, die durch den Wahlsieg der PT ähnlich gefährdet wäre wie einst durch Präsident Allende in Chile oder die Sandinisten in Nicaragua. Der "Krieg gegen den Terror" hat in Lateinamerika lange Tradition, mit einem pikanten Detail: Die Unterstützung der Contras sowie die Verminung des Hafens von Managua durch die CIA hatte zur Folge, dass die USA als bisher einziges Land vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen "Terrors" verurteilt wurden (1980).

So hat jeder seine Terror-Sicht, Präsident Bush hat versucht die Gleichung "Globalisierungsgegner = Anti-Amerikanist = Terrorist" durchzusetzen, glücklicherweise mit geringem Erfolg (abgesehen von einigen Epigonen wie Silvio Berlusconi, Jörg Haider und in geringerem Maße Hans Rauscher).

WEF-Gründer Claus Schwab hat auch Angst: Dass durch den 11. September die Staaten erstarken und in weiterer Folge in den freien Waren- und Kapitalverkehr eingreifen könnten. Wörtlich fürchtet Schwab ein "neues Primat der Politik" ­ das genau von ATTAC gefordert wird. Allerdings nicht nach dem Verständnis der USA, die ihr Militärbudget im kommenden Jahr von 331 auf 379 Milliarden Dollar erhöhen wollen. (Die Erhöhung um 48 Milliarden Dollar entspricht ziemlich exakt der öffentlichen Entwicklungshilfe aller reichen Länder zusammen, die 2000 auf den neuen Tiefststand von 53 Milliarden Dollar gefallen ist.)

Globalisierungsgestalter und Globalisierungsgegner

Während die USA also keinen Dollar scheuen, um die Globalisierung ihres neoliberalen Wirtschaftsmodells militärisch abzusichern, fristen konstruktive Globalisierungsprojekte im ATTACschen Sinn ein karges Dasein. So muss beispielsweise das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) mit einem Jahresetat von 100 Millionen Dollar auskommen. Die USA haben nicht nur der UNO verboten, über die Tobinsteuer zu diskutieren, sie sind auch aus der OECD-Arbeitsgruppe gegen Steuerdumping ausgetreten, aus dem ABM-Vertrag und aus dem Kyoto-Protokoll. Dahinter stehen jeweils mächtige Konzerninteressen, und das WEF ist ein Lobby-Forum dieser Konzerne.

ATTAC sagt daher: Die konzerngetriebene Globalisierung zerstört nicht nur unsere Lebensgrundlagen und polarisiert nicht nur die globale Gesellschaft in einem immer gefährlicheren Maße, sondern sie stärkt auch die wahren Globalisierungsgegner, die so gut wie jeden Vorstoß in den Bereichen

  • (globale) Steuergerechtigkeit Arbeitnehmerschutz Schutz der Lebensräume indigener Völker Menschenrechte Soziale Sicherung Verbesserung öffentlicher Daseinsvorsorge Finanzmarktstabilisierung

bremsen, behindern, blockieren.

Mit Waffen-, Automobil-, Erdöl-, Chemie-, Gentechnik-, Atomstrom-, Wasserversorgungs- und Finanzdienstleistungskonzernen ist keine nachhaltige Globalisierung zu gestalten. (Ein zentraler Grund für Porto Alegre.)

Soziale Verantwortung von Unternehmen

Die Firmengewinn-Steuersätze sind in den Industrieländern zwischen 1980 und 1999 von 50,9 auf 35,6 Prozent gesunken, und die Spitzensteuersätze auf Kapitalerträge im selben Zeitraum von 47,5 auf 33,5 Prozent. Die Einrichtung und weidliche Ausnützung von Steueroasen hat dazu geführt, dass viele Großkonzerne gar keine Steuern mehr zahlen. Dadurch kommen die Nationalstaaten in Finanzierungsnöte, Budgetlöcher klaffen auf und Sparpakete werden durchgezogen. Claus Schwab bekennt sich zur sozialen Verantwortung von Unternehmen, indem diese etwa "Obdachlosenzeitungen" sponsern sollen. ATTAC sagt, wenn die Konzerne Steuern zahlen würden, gäbe es keine Obdachlosen. Wir brauchen keine "infinite justice" (Bush), sondern basic fiscal justice (ATTAC). Auch für den Weltfrieden.

Entsprechend werden in Porto Alegre folgende Steuervorschläge diskutiert:

  • Tobinsteuer auf Devisentransaktionen Börsenumsatzsteuer Besteuerung ausländischer Direktinvestitionen Global einheitliche Konzernbesteuerung Einbeziehung aller Kapitaleinkommen unter die Einkommensteuer Schließung von Steueroasen

Kernforderungen von Porto Alegre

Neben den globalen Steuerforderungen zeichnen sich folgende Schlüsselforderungen ab:

  • Schuldenerlass für die armen Länder (Verfahren zur Schuldenregulierung) Global Government: WTO, IWF und Weltbank müssen nicht nur demokratisiert, sondern stärker in das UN-System eingegliedert und auf eine Stufe mit den Entwicklungsprogramm (UNDP), Umweltprogramm (UNEP), Arbeitsorganisation (ILO), Gesundheitsorganisation (WHO) und Ernährungsorganisation (FAO) gestellt werden Neues Agrarmodell: Landreform, Zugang zu Produktionsmitteln für die KleinbäuerInnen, Ernährungssouveränität, keine Gentechnik, Herausnahme der Landwirtschaft aus den WTO-Verhandlungen Keine Privatisierung essentieller Allgemeingüter wie Wasser, Umwelt, Bildung, Gesundheit, Pensionsvorsorge

Demokratisierung in der Praxis

Eine Teilforderung, die Demokratisierung der öffentlichen Finanzen, praktiziert Porto Alegre bereits seit einigen Jahren ­ und ist deshalb auch als Start-Ort für die jährlichen Weltsozialforen ausgewählt worden: In Porto Alegre gibt es das "partizipative Budget": Die BürgerInnen bestimmen mit, wofür öffentliche Gelder ausgegeben werden. In der Folge hat die Lebensqualität in der Stadt merklich zugenommen hat: Kriminalität und Arbeitslosigkeit sind gesunken, der Grün-Anteil gestiegen. Durch den Erfolg macht das "orçamento participativo" nicht nur in Brasilien Schule, sondern auch in Mexiko, Belgien und Frankreich. In der Pariser Vorstadt St. Denis werden bereits 15 Prozent der öffentlichen Gelder "partizipativ" verteilt. Ein Beispiel, wie der Norden vom Süden lernen kann.