Mythbuster & FAQ

Alles, was du wissen musst

Mythen zur Liberalisierung

Die Bilanz von 20 Jahren Liberalisierung des europäischen Energiesystems ist verheerend. Der Markt hat versagt. Das wird offensichtlich, wenn wir uns die großen Ziele der Liberalisierung, die seit Ende der 1990er massiv vorangetrieben wurde, einmal im Detail anschauen.

Mythos Nr. 1: „Durch Wettbewerb und freie Märkte werden Monopole aufgebrochen.“

Im Gegenteil: Große Energiekonzerne haben starke Monopol- und Oligopolstrukturen aufgebaut und enormen Einfluss auf Preise und Struktur des Energiesystems. In der Energiekrise ist es sogar noch schlimmer geworden. Die Konzerne haben Rekordprofite gemacht und trotzdem die Preise für Verbraucher*innen massiv erhöht. Der Grund: Ein liberalisiertes Energiesystem ist auf Profitmaximierung ausgerichtet.

Ein Beispiel: Der Verbund (der größte Stromversorger in Österreich) hat 2022 mehr als 1,7 Milliarden Euro Nettogewinn gemacht – das ist fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Trotzdem hat auch der Verbund die Verbraucher*innenpreise massiv erhöht.

Mythos Nr. 2: „Verbraucher*innenpreise sinken im Zuge der Liberalisierung.“

Direkt nach der Liberalisierung gingen die Preise tatsächlich etwas nach unten. Das galt zwar auch für private Haushalte, vor allem aber profitierte davon die große Industrie. Grund dafür ist aber nicht die Liberalisierung, sondern: Es ist erstens anzunehmen, dass vor allem die bereits zur Verfügung stehende Energie-Infrastruktur (wie Kraftwerke oder das Strom- und Gasnetzwerk) für die sinkenden Preise mitverantwortlich waren. Sie wurden durch Steuermittel finanziert und waren mit dem Beginn der Liberalisierung bereits abbezahlt. Da zweitens die kommunalen und teilstaatlichen Versorger eher auf langfristige Versorgung setzten, waren deren Preise zu Beginn etwas höher als jene der Handelsunternehmen, die neu auf den österreichischen Markt kamen und eher kurzfristig und billig einkauften. Heute sieht man jedoch, dass deren Preise tendenziell teurer geworden sind als die von kommunalen oder Landesenergieversorgern. Außerdem sind viele private Handelsunternehmen inzwischen wieder vom Markt verschwunden.

Bereits vor dem Ukraine-Krieg waren hohe, von Produktionskosten entkoppelte Energiepreise für Verbraucher*innen sowie Milliardenprofite für Energiekonzerne allgegenwärtig. Das derzeitige Preissystem führt nämlich nicht dazu, dass sich die Verbraucher*innenpreise an durchschnittlichen Herstellungskosten orientieren. Verbraucher*innen zahlen also immer höhere Preise, die Industrie bekommt Sonderkonditionen und die Energiekonzerne machen Rekordprofite.

Mythos Nr. 3: „Neue Arbeitsplätze entstehen.“

Ganz im Gegenteil: Die Liberalisierung des Energiesektors hat zu massiven Arbeitsplatzverlusten geführt und die Art der Arbeit verändert. Vor allem in den Bereichen Technik und Wartung wurde aufgrund kommerzieller Interessen und Kostensenkung stark gekürzt und outgesourct.

Mythos Nr. 4: „Die Energiewende wird vorangetrieben.“

Insbesondere die Marktmacht der großen, oft fossilen Energiekonzerne hat eine langfristige Abhängigkeit von fossilen Energieträgern weiter verschärft. Durch die Liberalisierung entstanden riesige private Konzernmonopole mit enormer politischer Macht, welche die Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle verfestigten. Erneuerbare Versorger konnten meist nur dann Fuß fassen, wenn sie durch öffentliche Subventionen vor der Liberalisierung geschützt wurden.

Mythos Nr. 5: „Die Entscheidungen im europäischen Energiesystem erfolgen transparent und demokratisch.“

Keineswegs, denn die Energiemärkte sind kaum reguliert und Entscheidungen werden intransparent gefällt. Die Kostenverteilung wird durch Übertragungsnetzbetreiber und Regulierungsbehörden bestimmt und ist ebenfalls intransparent und schlecht nachvollziehbar. So wird eine Kilowattstunde zwecks Spekulation häufig mehrfach gehandelt.

Es gibt keine demokratische Struktur in der Entscheidungsfällung, denn die Strombörsen können maßgeblich auf die Preisbildung einwirken, und der veröffentlichte Preis der Börsen hat weit über den Börsenhandel hinaus massive Auswirkungen. Im Handel wird der Börsenpreis der EEX Strombörse in Leipzig häufig als Preisindikator herangezogen. Die EEX koordiniert den spekulativen Handel mit Strom mittels undurchsichtiger Algorithmen und ist selbst als Aktiengesellschaft profitorientiert organisiert. Eigentümer*innen der Strombörse sind unter anderem große europäische Energiekonzerne, BlackRock und weitere Finanzinstitute.

 

FAQ - Häufig gestellte Fragen

Warum wurde die Energieversorgung in Europa liberalisiert - und was ist am Energiesystem in Österreich staatlich, was privat?

Im Trend genereller Liberalisierung wurde die Energieversorgung in den 1980er Jahren in Europa liberalisiert. Österreich war eines der ersten Länder in Europa, die bei dieser Liberalisierung mitgemacht haben. Dabei sind Verbund und OMV teilstaatlich: Sie wurden 1987 von SPÖ und ÖVP in Aktiengesellschaften umgewandelt und damit teilweise privatisiert. Viele Energieversorger (wie zum Beispiel Wien Energie und Linz AG) sind jedoch nach wie vor in öffentlicher Hand. Die Netze, durch welche die Energie geleitet wird, haben ein sogenanntes "natürliches Monopol", und aus Effizienzgründen gibt es lediglich eine Netzstruktur. Deshalb sind die Netze trotz Liberalisierung weiterhin in staatlicher Hand, und Haushalte erhalten eine eigene Netz-Rechnung (zum Beispiel von den Wiener Netzen, dem Stromnetz Graz oder dem Linz Netz).

Welche Folgen hat die Liberalisierung der Energieversorgung?

Die Annahme der Liberalisierung war, dass durch das Prinzip der freien Märkte die Preise fallen. Allerdings ist deutlich sichtbar, dass durch den Energiehandel an der Börse die Preise instabil sind und stark schwanken – wie es zuletzt infolge des Ukrainekriegs geschah. Insbesondere Konzerne, private Unternehmen und Spekulant*innen profitieren und streifen hohe Gewinne ein, während Verbraucher*innen durch die horrenden Preise kaum ihre Rechnungen bezahlen können und eine ausreichende Energiegrundversorgung oft nicht sichergestellt werden kann.

Wie funktioniert der Handel auf sogenannten Energiebörsen?

Große Stromkunden (wie Industrieunternehmen oder Stadtwerke) kaufen zwar ungefähr die Hälfte des Stroms direkt bei den Erzeuger*innen ein, die andere Hälfte jedoch wird an der Strombörse gehandelt. Dabei wird ein Teil der Stromkontingente auf Terminmärkten in Form von „Futures” gehandelt. Das sind größere Pakete, die Stromkund*innen oft bevorzugen, weil sie damit die Stromversorgung mehrere Jahre im Voraus planen können. Weil der Stromverbrauch in der Zukunft aber nicht völlig planbar ist, müssen die Stromkund*innen Teile des benötigten Stroms täglich am Spotmarkt, auch "Intraday-Market" oder "Day-Ahead-Market" genannt, zukaufen. Darüber hinaus findet Handel an Derivatmärkten statt.

Wie setzt sich der Energiepreis zusammen?

Der Preis für Strom und Gas setzt sich aus dem Energiepreis, dem Netzentgeld sowie Steuern und Abgaben zusammen. Das Netzentgelt erhalten die Netzbetreiber, wie zum Beispiel die Wiener Netze. Die Preise werden von der Regulierungskommission E-Control festgelegt und finanzieren die Erhaltung der Netzanlagen und regeln die Verteilung der elektrischen Energie. Den Endverbraucher*innen werden zusätzlich verschiedene Steuern und Abgaben verrechnet, dazu gehören etwa Umsatzsteuern oder Erneuerbare-Förderkosten. Die Energiepreise hingegen entstehen durch verschiedene Mechanismen.

Wie entstehen die Energiepreise für Strom und Gas?

Den Energiepreis erhalten die Anbieter für die elektrische Energie, somit für Strom oder Gas. Am Energiemarkt stehen die Energieanbieter untereinander im Wettbewerb und legen ihre Energiepreise selbst – also ohne staatliche Einflussnahme – fest. Der Energiepreis unterliegt Spekulationen, um möglichst hohe Gewinne zu erzielen.
Etwa die Hälfte des Stroms wird durch Langzeitverträge mit großen Kund*innen (Stadtwerke, Industrieunternehmen) gehandelt, und die Preise werden zu einem bestimmten Zeitpunkt für einen längeren Zeitraum festgelegt. Der restliche Strom wird an Spotmärkten nach dem Merit-Order-System täglich gehandelt. Der Strompreis ist dabei an den Gaspreis gebunden, da Gaskraftwerke als teuerste Produktionsart derzeit meist den Marktpreis bestimmen. Steigt der Gaspreis an, steigt also auch der Strompreis, selbst wenn sich die tatsächlichen Kosten der anderen Herstellungsarten nicht erhöhen. Der Gaspreis kann, unter anderem durch den Handel an den Derivatmärkten, stark schwanken.

Wie unterscheiden sich Energiemärkte von anderen Märkten?

Das Stromnetz hat die Besonderheit, dass je nach Bedarf täglich eine unterschiedliche Menge an Strom ins Netz eingespeist werden muss. Diese Menge lässt sich nicht lange im Voraus planen. Im liberalisierten Strommarkt wird dieses Problem mit dem kurzfristigen Handel von Strom an den Energiebörsen gelöst.

Warum muss das Energiesystem grundsätzlich umstrukturiert werden?

Energieversorger arbeiten gewinnorientiert und machen gerade in Krisenzeiten Rekordprofite. Die Lasten der steigenden Preise werden an die Verbraucher*innen weitergegeben. Es stehen also nicht eine soziale und ökologische Energieversorgung im Vordergrund, sondern die Interessen mächtiger, oft fossiler Konzerne. Um eine bezahlbare und ökologische Energieversorgung für alle zur Verfügung zu stellen, muss das Energiesystem vergesellschaftet und demokratisiert werden.

Was bedeutet Vergesellschaftung in diesem Zusammenhang?

Unter Vergesellschaftung ist vor allem ein Rückgewinn der Kontrolle über unsere Energieversorgung zu verstehen. Wie viel soll Energie kosten? Wofür wollen wir sie aufwenden? Wie wollen wir sie generieren? Und wer soll profitieren? All das muss demokratisch entschieden werden. Eine Vergesellschaftung der Energieversorgung soll das erreichen. Nicht mehr die Interessen von Konzernen und Profitorientierung sollen ausschlaggebend sein, sondern die Meinung der Menschen, die Energie brauchen, um ein gutes Leben führen zu können.

Besonders große Energieversorger und Netzbetreiber sollten deshalb vorzugsweise im öffentlichen Staats- oder Kommunalbesitz organisiert sein. Anzustreben wären zum Beispiel partizipative Stadtwerke, in denen demokratische und soziale Preisgestaltung, Nutzer*innenreferenden zu strategischen Fragen und ein nach sozialökologischen Kriterien zusammengesetztes Kontrollgremium eine gemeinwohlorientierte Ausrichtung gewährleisten. Abzulehnen sind hingegen Unternehmensformen, die eine Mitbestimmung von Bürger*innen einschränken. Dazu braucht es die Förderung gemeinnütziger Versorger sowie eine gesetzliche Verankerung von Versorgungssicherheit, Leistbarkeit und Klimagerechtigkeit als oberstes Ziel ihrer Tätigkeit. Wir fordern eine demokratische Kontrolle über Energiekonzerne und -versorger, an der Beschäftigte, Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschafter*innen gemeinsam arbeiten.

Welche Positivbeispiele für eine demokratische Energieversorgung gibt es?

Ein Positivbeispiel für eine demokratische Energieversorgung sind beispielweise Energiegenossenschaften. Diese organisieren Energieversorgung dezentral, konzernunabhängig und meistens ökologisch. Sie zeigen im Kleinen, dass eine gemeinsame Entscheidung über Produktion, Verteilung und Preise möglich ist. Öffentliche Eingriffe in die Preisgestaltung wie Preisdeckel und kommunale Versorgungsstrukturen sind weitere Möglichkeiten, wie demokratische Kontrolle über den Energiesektor ausgeübt werden können.

Was können Landesversorger schon jetzt tun?

In Österreich sind viele Versorger schon jetzt in öffentlicher Hand. Dennoch wirtschaften sie wie private Konzerne und wälzen die extrem hohen Preise auf die Verbraucher*innen ab. Das müsste nicht so sein: Landesversorger könnten bereits jetzt gemeinwohlorientiert wirtschaften und damit soziale Preise und ökologische Energieproduktion befördern, wenn sie nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet wären.

Wie stark muss Österreich den Energieverbrauch senken, um als "klimaneutral" zu gelten?

Insgesamt muss Österreich den Energieverbrauch halbieren, um das Ziel der Bundesregierung, nämlich bis 2040 klimaneutral zu sein, zu erreichen. Erneuerbare Energien können derzeit nur die Hälfte des gegenwärtigen (fossilen) Energieverbrauches decken, deshalb braucht es weiterhin einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und ein Energieeffizienzgesetz, um den Verbrauch weiter zu senken. Außerdem muss der Import klimaschädlicher fossiler Energieträger heruntergefahren werden - immerhin decken diese zwei Drittel der in Österreich verbrauchten fossilen Energiemenge. Damit könnte die österreichische Energieversorgung auch unabhängig von autoritären Staaten wie Russland oder Saudi-Arabien sowie von der Profitgier mächtiger fossiler Konzerne werden.

Warum ist es nicht okay, Energie aus anderen Ländern - insbesondere des Globalen Südens - zu importieren?

Der Import von Energie aus Ländern des Globalen Südens geht oft mit Menschenrechtsverletzungen, der Zerstörung wertvoller Ökosysteme und der Verstärkung bestehender Machtverhältnisse einher. Das gilt nicht nur für den Import von fossilen Energieträgern wie Erdgas oder Öl, sondern gerade auch für die sogenannten erneuerbaren Energieträger. Denn für die Energiewende im globalen Norden werden seltene Erden und wertvolle Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt oder Lithium für Batterien benötigt. Diese werden in vielen Fällen unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut – oftmals sogar in indigenen Territorien ohne ausreichende Aufklärung über ökologische Schäden. In Zukunft sollen vermehrt auch Solarpanels, Windparks und Elektrolyseanlagen für die Wasserstoffproduktion in vielen Ländern des Globalen Südens gebaut werden. Allerdings ist etwa der Transport von Wasserstoff meist mit hohem Energieverbrauch und CO2-Emmissionen verbunden, und meistens kann die lokale Bevölkerung vor Ort nicht davon profitieren.

Für die Erreichung der Klimaziele reicher Industriestaaten wie Österreich werden andernorts Regenwälder gerodet, Menschen umgesiedelt und wertvolles Trinkwasser abgepumpt oder verunreinigt. Besonders fossile Industrie aus dem globalen Norden, die fürchtet, Marktanteile zu verlieren und Gewinne durch die Energiewende einzubüßen, investiert in solche Projekte und schreibt somit koloniale Verhältnisse fort. Diesem Energieimperialismus mit grünem Anstrich setzen wir eine demokratisch gestaltete, dezentrale Produktion von Erneuerbarer Energie in Österreich entgegen.

Unterstütze jetzt unsere Forderungen für ein demokratisches Energiesystem!