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Schramböcks ZIB2-Auftritt zur Patentfreigabe fällt beim Faktencheck durch

Attac und Ärzte ohne Grenzen: „Zwangslizenzen ermöglichen keinen raschen Ausbau der Produktionskapazitäten.“

Attac Österreich und Ärzte ohne Grenzen kritisieren die gestern in der Zeit im Bild 2 vorgebrachten Argumente von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, mit denen sie ihre Blockade der Freigabe von Impfstoff-Patenten rechtfertigt.

„Der Verweis Schramböcks auf den EU-Antrag für Zwangslizenzen ist ein reines Ablenkungsmanöver. Dieser Vorschlag soll die Freigabe der Patente in der WTO verhindern – und damit den raschen Ausbau der weltweiten Produktionskapazitäten für lebensrettende Arzneimittel“, erklärt Iris Frey von Attac Österreich. Eine langwierige und komplizierte Zwangslizenzierung einzelner Patente reiche jedenfalls bei weitem nicht aus:

Zu langsam: Ein potenzieller Lizenznehmer müsste mit dem Patentinhaber für jedes einzelne Patent ein Abkommen ausverhandeln – und das weltweit. Das dauert im besten Fall Monate. Für die Herstellung eines COVID-19 Impfstoffes benötigt man aber mindestens zwei bis drei Dutzend Patente. Daher müssten in mehreren Ländern gleichzeitig Zwangslizenzen beantragt und durchgesetzt werden – ein kaum leistbarer Zeit- und Koordinationsaufwand. In den meisten Industrieländern (darunter auch in Österreich) wurde das Instrument zudem noch nie angewandt. Da Präzedenzfälle fehlen, gibt es viele rechtliche Details, die erst ausjudiziert werden müssten.

Zu teuer: Zwangslizenz bedeutet nicht entschädigungslos. Hohe Lizenzgebühren würden die Produkte erheblich verteuern. Zwangslizenzgeber können durch überhöhte Lizenzgebühren staatliche Vermittlungsverfahren erforderlich machen und so den Prozess verschleppen.

Unzureichend: Der EU-Vorschlag liefert nur klärende Zusatztexte zu jenen Stellen im TRIPS-Abkommen, welche die Vergabe von Zwangslizenzen für Patente schon jetzt ermöglichen („TRIPS-Flexibilitäten”). Um die Covid-Arzneimittelproduktion rasch auszubauen, müssen zusätzlich zu Patenten aber viele weitere geistige Eigentumsrechte ausgesetzt werden - darunter Geschäftsgeheimnisse, industrielle Designs, Forschungsergebnisse oder Urheberrechte. Der EU-Vorschlag berührt all diese Bereiche nicht.

Nur Patentfreigabe bietet rasche und umfassende Rechtssicherheit

Der TRIPS-Waiver hingegen würde alle relevanten geistigen Eigentumsrechte aussetzen – und zwar anders als von Schramböck behauptet auf begrenzte Zeit und nicht „für immer“. Das würde den Staaten rasche und umfassende Rechtssicherheit in der Pandemiebekämpfung ermöglichen. „In einer Pandemie muss die gesamte Produktionskette für Arzneimittel Monopol-frei sein”, erklärt Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen, und fügt hinzu: „Es braucht einen Strategiewechsel: Es muss jetzt dringend dafür gesorgt werden, dass unkompliziert und rasch weltweit Impfstoffe verfügbar sind, und das geht nur, indem die Produktion dezentralisiert wird. Unsere Recherchen zeigen, dass über 100 Werke allein im Globalen Süden in der Lage wären, mRNA-Impfstoff herzustellen, doch Patente und fehlender Technologietransfer seitens der großen Hersteller hindern sie daran.“

Hersteller wurden bereits mit Milliardengewinnen kompensiert

Entgegen den Aussagen von Schramböck wurden die Impfstoff-Hersteller bereits mit Milliardengewinnen kompensiert. Sie können die Preise beliebig gestalten - und das, obwohl die Impfstoffe öffentlich finanziert wurden (1). Das laut Schramböck „kleine mittelständische Unternehmen“ BioNTech hat allein im dritten Quartal 2021 einen Nettogewinn von rund 3,2 Milliarden Euro erzielt. "Schramböck übernimmt 1:1 die Mythen der Pharmaindustrie, deren einziges Interesse es ist, möglichst hohe Profite aus der Pandemie zu schlagen", kritisiert Frey.

Derzeit zahlen die Staaten des globalen Südens den Preis für die Monopolprofite der Pharmakonzerne. Für ihre Bevölkerungen ist dies tödlich - insbesondere in einer globalen Pandemie. Die EU muss daher jetzt ihre tödliche Blockade beenden und dem TRIPS-Waiver nach über einem Jahr Blockade endlich zustimmen“, erklärt Frey.

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(1) Die mRNA wurden exklusiv durch öffentliche Gelder erforscht, die beiden Firmen Moderna und BioNTech/ Pfizer haben ebenfalls öffentlich finanziert nur die klinische Forschung am Ende durchgeführt. Mit öffentlichen Steuergeldern hat die US-Regierung Moderna fast 10 Milliarden Dollar für fast die gesamten Kosten der klinischen Entwicklung ihres mRNA-Impfstoffs und den Kauf von 500 Millionen Dosen zur Verfügung gestellt. Die finanzielle Unterstützung durch die deutsche Regierung und andere öffentliche Quellen trug mit mehr als 700 Millionen Dollar zur Entwicklung des COVID-19-Impfstoffs von BioNTech und Pfizer bei. Das Risiko, dass die mRNA-Impfstoffe geringe Effekte haben, wurde durch großzügige Vorab-Abnahmegarantien und Übernahme von Haftungen genommen.