Mythen und Fakten zum EU-Mercosur-Abkommen

Was die Befürworter*innen sagen - und was wirklich stimmt

"Es schützt den Regenwald, es bekämpft den Hunger, es fördert den Wohlstand der Menschen!" Seit Lula da Silva zum neuen Präsidenten Brasiliens gewählt wurde, rücken die Befürworter*innen das umstrittene Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) in ein schmeichelhaftes, grünes Licht. Doch was ist dran an dieser Argumentation? 

„Das Handelsabkommen bietet die Chance, den Regenwald zu schützen.“

Im Gegenteil! Das Abkommen bedeutet, dass unter anderem Rindfleisch, Zuckerrohr, Futtersoja und Biosprit aus dem Mercosur noch billiger und in noch größeren Mengen in die EU importiert werden können. Dabei tragen gerade diese Produkte zur Zerstörung von Wäldern und Ökosystemen bei, weil bei ihrer Produktion viel Anbaufläche benötigt wird. Nach wie vor werden große Teile des Regenwalds gerodet, insbesondere für Rinderweiden - und das Abkommen macht den Export der genannten Produkte noch attraktiver.

Zudem ist ein Freihandelsabkommen nicht das richtige Instrument, um den Regenwald zu schützen, weil es auf Zölle und Handelshemmnisse fokussiert - Naturschutz ist Nebensache. Um den Schutz der Wälder durchzusetzen, gibt es bessere (wenn auch nicht perfekte) Instrumente wie die EU Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten.

„Das Handelsabkommen ermöglicht eine nachhaltige wirtschaftliche Nutzung des Amazonas.“

Das Handelsabkommen trägt nicht dazu bei, ein wirklich nachhaltiges Wirtschaften in Amazonien zu fördern, denn es zementiert das derzeitige wirtschaftliche Modell ein. Dieses beruht auf der Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Ressourcen. Dabei ist eine andere Form des Wirtschaftens in Amazonien nicht nur dringend nötig, sondern auch möglich. Es gibt bereits Beispiele, wie dies gelingen kann - etwa durch die Nutzung von Früchten und Nüssen des Waldes (wie Açai-Beeren und Paranüsse, die sowohl in Brasilien konsumiert als auch exportiert werden), nachhaltigen Tourismus und agrarökologische Landwirtschaft. Ein Wirtschaften, das den Menschen in Amazonien Einkommen bietet und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen bewahrt, sollte gefördert und begünstigt werden. Das EU-Mercosur-Abkommen hingegen begünstigt vor allem transnational agierende Konzerne und große Landwirtschaftsbetriebe.

„Das Handelsabkommen hilft, den Hunger und die Armut in Brasilien zu bekämpfen.“

Ganz im Gegenteil. Laut der brasilianischen Landlosenbewegung MST wird das Abkommen zu mehr Hunger führen: Es fördert die Produktion und den Export bestimmter Rohstoffe, darunter Soja für Tierfutter oder Zuckerrohr für Biosprit, mit denen Agrarkonzerne viel Geld verdienen. Damit verdrängt das Abkommen die lokale, kleinbäuerliche Landwirtschaft, die Lebensmittel für die eigene Bevölkerung produziert. Hier soll ein bereits existentes Freihandelsabkommen als Beispiel dienen: Der Deal zwischen den USA und Chile steigerte den Avocado-Anbau in Chile. In der Provinz Petorca zapft die Agrarindustrie das Wasser für ihre riesigen Avocado-Plantagen ab. Die Konsequenz: Ein einst reißender Fluss ist völlig ausgetrocknet, der Grundwasserspiegel sinkt kontinuierlich. Die dort lebenden Menschen und Kleinbäuer*innen haben nicht mehr genug Wasser zum Trinken und zum Bewässern der eigenen Felder, um sich selbst zu versorgen. Trinkwasser muss per LKW in die Regionen gebracht werden.

“Die Bevölkerung der EU- und Mercosur-Staaten profitieren vom Abbau der Zölle."

Zölle sind im Grund nichts anderes als Steuern. Sie werden auf Produkte erhoben, die ausländische Unternehmen in einem Staat verkaufen. Der Staat kann mit diesem Geld Straßen, Schulen, Sozialleistungen etc. finanzieren. Entfallen die Zölle aufgrund eines Freihandelsabkommens, verliert der Staat dieses Einkommen. Die Unternehmen können hingegen ihre Waren günstiger anbieten und der Verkauf steigt in der Regel an. Das bedeutet: Vor allem Konzerne profitieren vom Abschaffen der Zölle. Zudem sind Zölle ein wichtiges Instrument für Länder des globalen Südens, um die heimischen Industrien vor einer Importflut von industriellen Produkten aus dem globalen Norden zu schützen und somit ihre eigene industrielle Entwicklung zu gewährleisten.

„Die brasilianische Zivilgesellschaft sieht das Handelsabkommen positiv.“

Das stimmt nicht. Seit 2020 mobilisiert die brasilianische Zivilgesellschaft gegen das Abkommen. Mehr als 100 Gewerkschaften, Umweltverbände und Menschenrechtsorganisationen sagen: Eine Zustimmung zu diesem Deal, der die koloniale Logik der ewigen Rohstofflieferanten und Importeure von Industriegütern reproduziert, wäre “eine wahre Katastrophe”. Ihnen zufolge wird die vorgesehene Marktöffnung erhebliche sozioökonomische Auswirkungen und weitreichende Folgen für Arbeiter*innen, Landnutzung, Umwelt und Klima in Brasilien und den übrigen Mercosur-Staaten haben. Hier kann die Erklärung der brasilianischen Zivilgesellschaft eingesehen werden. Auch mit Lula als Präsident hat sich ihre Position zum  Abkommen nicht verändert: In einem aktuellen Brief an die Lula-Regierung haben sie ihre Kritik am Deal wiederholt und grundlegende Neuverhandlungen gefordert.

„Lula will das Handelsabkommen, um Wohlstand für Brasilianer*innen zu garantieren.“

Lula hat in seiner ersten Amtsrede erklärt, er sei nicht an Handelsdeals interessiert, die Brasilien zum ewigen Rohstofflieferanten machen. Er hat davor und seitdem angedeutet, dass er gerne Änderungen am Vertragstext vornehmen würde, sodass die Bedürfnisse des Mercosur auf eine eigene industrielle Entwicklung respektiert werden. Für die Mercosur-Industrie und die Arbeitsplätze gibt es in der Tat ernsthafte Bedenken, dass das Abkommen negative Auswirkungen haben wird: Gewerkschaften aus Südamerika kritisieren, dass der Umfang der Zollsenkung für industrielle Importe aus der EU zu groß und das Tempo zu hoch ist, als dass sich die lokale Industrie an den verstärkten Wettbewerb anpassen könnte. Der verschärfte Wettbewerb gefährde Arbeitsplätze und erhöhe die Prekarität der Beschäftigungsverhältnisse im Mercosur, weshalb die Unterzeichnung des Abkommens „ein Todesurteil für unsere Industrien“ wäre, so die Gewerkschaften. In Argentinien wird zum Beispiel geschätzt, dass fast 200.000 Menschen wegen des Abkommens ihren Job verlieren könnten.

„Wir brauchen das Handelsabkommen für die Energiewende und für die grünen Wertschöpfungsketten der Zukunft.“

Zu den die größten Profiteuren des Abkommens auf europäischer Seite zählen die Autoindustrie und Chemiekonzerne, weil sie Verbrennerautos und Pestizide durch den Zollabbau günstiger und verstärkt verkaufen können. Auf Seiten der Mercosur-Staaten profitiert die Agrarindustrie, allen voran die Rindfleischproduktion. Da all diese Produkte mit hohen CO2-Emissionen oder Umweltzerstörung verbunden sind, ist dieser Deal für die Energiewende nicht förderlich. Hinzu kommen mehr CO2 Emissionen durch den langen Transportweg. Für eine gute Zusammenarbeit zum Aufbau grüner Wertschöpfungsketten braucht es dieses Abkommen nicht, siehe z.B. die Deutsch-Namibische Partnerschaft für grünen Wasserstoff. Was es für die Energiewende weltweit letztendlich wirklich braucht, ist technologischer Transfer und eine grundsätzliche Reduktion des Ressourcenverbrauchs.

“Ein Zusatzinstrument kann das Abkommen verbessern.”

Die EU-Kommission hat ein Zusatzinstrument in Form einer Interpretationserklärung vorgeschlagen. Rechtsexpert*innen sind sich jedoch einig: Dies bedeutet nur, dass die enthaltenen Umweltstandards in anderer Sprache ausgelegt und verdeutlicht werden. An den natur- und klimafeindlichen Inhalten des Abkommens ändert sich nichts. Denn durch eine solche Interpretationserklärung werden weder inhaltliche Standards geändert, noch verbindliche Durchsetzungsmechanismen geschaffen. Es ist zwar theoretisch möglich, ein Zusatzinstrument zu entwickeln, das keine reine Interpretationserklärung ist, aber das könnte laut Expert*innen Widersprüche hervorrufen und zu Kohärenzproblemen zwischen den verschiedenen Bestimmungen der Texte führen. Zudem wird auf EU-Ebene derzeit überhaupt nicht diskutiert, den eigentlichen Zollabbau für klima- und umweltschädliche Produkte zu ändern. Das heißt: laut Expert*innen wäre eine vollständige Neuverhandlung die einzige glaubwürdige Option für ein nachhaltiges Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur.

„Ein Zusatzinstrument zum Waldschutz verhindert, dass das Handelsabkommen zu mehr Zerstörung führt.“

Leider nein. Im Abkommen ist vorgesehen, dass Zölle für 82% der europäischen Agrarimporte aus dem Mercosur abgeschafft werden. Darüber hinaus bietet die EU ein Kontingent für bestimmte Produkte an (so genannte Quoten), die zollfrei oder zollbegünstigt importiert werden dürfen - z.B. 99.000 Tonnen Rindfleisch, oder 650.000 Tonnen Bioethanol (aus Zuckerrohr). Das Abkommen fördert also den Handel und die Produktion dieser Produkte - dabei tragen sie zur Zerstörung von Wäldern und anderen Ökosystemen bei. Laut Expert*innen bedeuten allein die 99.000 Tonnen zollbegünstigtes Rindfleisch mindestens 5% jährliche zusätzliche Entwaldung im Mercosur-Raum. Bestimmungen in einem Zusatzinstrument ändern nichts an diesen Anreizen. Sie sind nur Erklärungen guten Willens und Beschreibungen eines möglichen gemeinsamen Weges. In anderen Worten: Das EU-Mercosur-Abkommen durch ein Zusatzinstrument umweltfreundlicher zu machen, ist so, als würde man einer Person vorschreiben, dass sie täglich drei Torten essen, aber gleichzeitig abnehmen soll.

„Wenn wir das Handelsabkommen nicht abschließen, überlassen wir China die Region.“

Wir brauchen keine Handelsabkommen, um Handel zu treiben – die EU handelt bereits jetzt viel mit den Mercosur-Staaten, ebenso wie China. Brasilien ist schon heute der zweitwichtigste Handelspartner der EU, wenn es um Agrarimporte geht. Und die EU wiederum ist Brasiliens zweitwichtigster Handelspartner insgesamt. Für die anderen Mercosur-Länder ist die Lage ähnlich. Das heißt: Die EU ist auch ohne dieses Abkommen ein strategischer und unersetzlicher Handelspartner. Wenn wir mehr Rindfleisch oder andere Agrarprodukte aus Südamerika kaufen, bedeutet dies noch lange nicht, dass China im Gegenzug weniger kaufen wird. Darum ist es wichtig sicherzustellen, dass wir keine schlechten Deals eingehen, die die Situation in Südamerika verschlimmern. Die Mercosur-Länder unterstützen wir nur dann nachhaltig, wenn wir Partnerschaften auf Augenhöhe anbieten, zum Beispiel durch gemeinsame Projekte zu Agrarökologie und Waldschutz oder Technologietransfer für die Energiewende. Das EU-Mercosur-Abkommen macht all das jedoch nicht. Es konterkariert diese Ziele vielmehr.

“Nur ein paar Umweltorganisationen sind gegen das Abkommen.”

Wir sind Teil einer großen und diversen Bewegung gegen das EU-Mercosur-Abkommen:

  • 465.790 Menschen haben zum Beispiel in Deutschland in einer Greenpeace-Petition gefordert: “Kein Handel auf Kosten des Amazonas! Die Bundesregierung darf das EU-Mercosur-Abkommen nicht ratifizieren”.
  • 450+ Organisation der Zivilgesellschaft in Südamerika und in Europa sind Teil der “Stop EU-Mercosur” Koalition. Unser Statement sowie relevante Materialien können hier abgerufen werden.
  • Auch Gewerkschaften - im Mercosur wie in der EU - lehnen das Abkommen ab und fordern Neuverhandlungen. 
  • Südamerikanische und europäische Landwirt*innen mobilisieren ebenso gegen das Abkommen.

Mehrere Parlamente und Regierungen in Europa sehen das Abkommen sehr kritisch, so etwa Österreich, Frankreich, die Niederlande und die belgischen regionalen Parlamente in Wallonien und Brüssel.

“Es ist ein guter Kompromiss, dem Handelsabkommen zuzustimmen solange es ein Zusatzinstrument zum Waldschutz gibt.”

Nein! Denn es gibt eine bessere Option: Neuverhandlungen. Brasilien unter Lula und Argentinien unter Fernandez haben sich oftmals dafür ausgesprochen, dass das Abkommen verändert werden muss, um die Bedürfnisse Südamerikas stärker zu berücksichtigen. Das ist eine historische Chance, nicht an einem 20 Jahre alten Text festzuhalten, sondern komplett neu anzufangen - mit einem modernen, nachhaltigen und fairen Mandat. Dafür müssen die Grundsätze verändert und sichergestellt werden, dass der Vertrag keine umwelt- und klimaschädlichen Produkte fördert oder zu weiterer Ausbeutung natürlicher Ressourcen in Südamerika führt. Leider lehnt die EU-Kommission die Möglichkeit von Neuverhandlungen vehement ab.

„Das Handelsabkommen kann nicht mehr gestoppt werden, jetzt geht es nur noch darum, Kleinigkeiten zu verbessern.“

Sehr wohl kann der Deal noch gestoppt werden! Seit mehr als 20 Jahren wird verhandelt, und immer wieder wurde angenommen, dass das Abkommen demnächst ratifiziert werden würde. Aber das ist nicht passiert - zu groß war und ist der Widerstand! Das heißt: Lasst uns jetzt gemeinsam den Druck noch erhöhen, damit dieses schlechte Abkommen nicht zustande kommt! Die Präsidentschaft Lulas in Brasilien sollte besser dafür genutzt werden, dass ein neues Verhandlungsmandat entwickelt wird - auf Basis von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Klimaschutz.

Myth-Buster zum EU-Mercosur-Abkommen von Greenpeace, FIAN, Powershift, Netzwerk gerechter Welthandel

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